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Mischung zweier zeitlich auf einander folgenden Stylprincipien das Werk
einer Uebergangsperiode, wie sie naturgemäß den Historiker vornehmlich
zu interessiren pflegen.
Der äußeren Form nach ist das Kästchen ein Abkömmling jener
weitbauchigen auf schwache geschwungene Füße gestellten Commoden,
die zur Zeit der Regentschaft aufgekommen und für weitaus die meisten
Erzeugnisse der Ebenisterie bis in die letzten Jahre Louis XV. typisch
geblieben sind. Erinnert man sich aber der tollen ein- und ausgeschwun-
genen Consolen und Encoignuren aus der Frühzeit Louis XV., nament-
lich der nach Vorlagen und Entwürfen Juste Aurele Meissoniefs gefer-
tigten, mit dem pflanzenartig wuchernden Rahmenwerke in reichen ver-
goldeten Bronzeappliquen aus dem Atelier der Caftieri, so erscheint die
Silhouette des in Rede stehenden Kästchens ruhig und maßvoll, trotzdem
noch nicht eine gerade Linie sich daran vorfindet. Wände und Kanten
bewegen sich zwar noch immer im ncontour en arbaleteu, die Fliße
beschreiben sanfte Circonflexlinien, aber der Schwung ist nicht über die
Grenze des Beabsichtigten hinausgeführt: dem Möbel Anschein von Leben
und Bewegung zu geben, die ihm als mobilem Gegenstande naturgemäß
zukommen - eben weit genug, um die gerade Linie zu verneinen, die
nun einmal nicht im Geschmacke der Zeit lag. Dem entspricht auch die
mäßige Anwendung von vergoldeter Bronze, die zu Zeiten Meissoniefs
und Boucher's die eigentliche Holzarbeit des Ebenisten völlig überwuchert
hatte. An unserem Kästchen sind die lnnenkanten von einem zarten und
schmalen Bändchen umzogen; um die Tischplatte läuft ein der Dicke
derselben entsprechendes breiteres Band; die einzige Reminiscenz an den
organisch belebten Rococorahmen tritt an den vorspringenden Außen-
kanten der Füße hervor, die durch eine zarte von zierlichen Blättchen
in mäßigen Abständen umwundene Guirlande verkleidet sind. Es ist so-
mit die Einfassung, die durch den vergoldeten Bronzeschmuck hergestellt
werden soll: das Möbel, das Umrahmte, soll durch sich selbst wirken,
und dies wird erreicht durch das vornehmste Decorationsrnittel des Styles
Louis XVl., durch die Marqueterie. Wenn wir zunächst von der Tisch-
platte als der am reichsten geschmückten absehen, repräsentirt jede der
vier Seitenwände ein Panneau, dessen äußere Umrahmung in bois de
violette die gleiche Färbung mit den daran schließenden Füßen zeigt.
Ein schmales gelbes Bändchen bildet den Uebergang zum mittleren
Schmuckfelde, in welchem auf hellerem rothen Grunde - bois dama-
rante - naturalistische Blumen eingelegt sind. Auf der Vorder- und
Rückseite erscheinen sie in kleine Vasen eingefasst, an den seitlichen
Wänden durch flatternde Bänder zusammengehalten. Die Blumen -
Rosen, Nelken und Glockenblüthen - sind in gelbem Holze (dem
citronnier), die Blätter in grün gebeiztem eingelegt. Dasselbe Princip,
aber in reicherer Anwendung, herrscht auf dem oberen Panneau. Das Sträuß-
chen ist zu einem stattlichen Blumenkorbe angewachsen, und anstatt durch