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ein schmales Händchen sind die zwei Nüancen des rothen Holzes durch einen
üppigen Rococo-Rahmen getrennt, dessen Contournirungen und Recontour-
nirungen in grünem Holze eingelegt sind, während das krause Muschel-
werk dazwischen gelb erscheint. Die Zeichnung ist überall innerhalb der
gelben und grünen Farbentöne durch Schraffirung hergestellt und diese
durch eine schwarze Niellomasse ausgefüllt.
Wenn uns in der maßvollen Silhouette eine Reaction gegen das
Rococo der Vierziger Jahre entgegenzutreten schien und vollends in der
Marqueterie mit den hellen und zarten, gelblich und rüthlich getönten
Blumenmustern jene neue Stylweise sich ankündigte, die man mit den
Namen Louis XVI. und Marie Antoinette in Verbindung zu bringen
pflegt, stoßen wir bei Betrachtung der inneren Eintheilung des Möbels
in völlig contrastirender Weise auf die ganze launenhafte Willkür, welche
die Gesellschaft des nächstvorangegangenen Zeitalters und ihre Hervor-
bringungen kennzeichnet. Nach OeEnung des Hauptverschlusses lässt sich
die vordere Hälfte der Tischplatte als Schreibhrett zurücklegen, zu
welchem Zwecke sie mit einem goldgepressten Lederüberzuge tapezirt
erscheint. Ein Druck auf zwei eiserne Klammern lässt die hintere Hälfte
der Tischplatte etwa um 3 Cm. emporspringen, wodurch ein in vier Schieb-
laden getheilter und in der gleichen Blumenmarqueterie verzierter Auf-
satz zu Tage tritt. Um den entsprechenden Raum an der Vorderseite
des Kästchens nutzbar zu machen, wurde jene die Urkunde bergende
Schieblade eingefügt, welche die rechte Seitenwand durchbricht; unter-
halb derselben ist endlich eine nach der Vorderseite sich öffnende und in
Angeln bewegliche Lade angebracht: eine verwickelte Raumdisposition,
die sich allenfalls an den wunderlichen ein- und ausgeschweiften Rococo-
cornmoden älteren Styles rechtfertigen ließ, aber Angesichts der mäßig ge-
schwungenen Wände unseres Kästchens zumindest unnöthig erscheint.
Versuchen wir nun die Entstehungszeit des Möbels innerhalb mög-
lichst enger Zeitgrenzen festzusetzen. Die letzten Jahre haben mehrfache
Specialuntersuchungen auf diesem Gebiete gezeitigt. Namentlich war es
von den Franzosen Alfred de Champeaux, der in verstreuten kleineren
Monographien den Stoff nach verschiedenen Seiten hin behandelte, tso
dass er in seinem jüngst erschienenen Buche: rLe Meubleu eine zusammen-
hängende Darstellung desselben bieten konnte. Empfangen wir von dieser
Seite wichtige Aufschlüsse aus Urkunden, Rechnungen und Meister-
büchern jener Zeit, so kommt uns anderseits der Umstand zu Statten,
dass die Bestimmung des ausführenden Meisters bei Werken aus der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nur in seltenen Fällen Schwierig-
keiten unterliegt, indem durch eine bereits im Jahre 1751 erlassene Or-
donnanz Louis XV. jedem Ebenisten unter Androhung der Confiscation
des beanständeten Objectes und einer Geldstrafe von 20 Livres im Unter-
lassungsfalle vorgeschrieben wurde auf särnrntliche aus seiner Werkstatt
hervorgehende Möbel seine Stainpiglie zu drücken. Diesem Umstande