Aus St. Pölten. Bilder und Erinnerungen von Joh. Fahrngruber.
St. Pölten, J. Gregora, t886. 8".
Die l-lauptzwecke. welche diese anlässlich eines kirchlichen Jubiläums erschienene
Schrift verfolgt, berühren nicht das lnteresse unseres Blattes. Trotzdem halten wir es
für nützlich und nnthwendig, die Fachkreise auf dasselbe aufmerksam zu machen, denn
das liebevoll und fleißig geschriebene Buch enthält eine sehr bedeutende Fülle kunst-
historischer Nachrichten, grolltentheils bisher unbekannten Inhaltes, wobei der Verfasser
sich auf urkundliche Forschungen stützt. Besonders werthvoll sind die Capitel: Der Dom
zu St. Polten. Frauenkloster; dabei ist mit größter Liebe die Gestalt des Probstes Johann
Michael Führer (seit 1701) hervorgehoben. dessen Walten für das Stift die glanzendste
Epoche in kunsthistorischer Hinsicht bezeichnet. Unter diesem prachtliebenden Pralaten,
welcher einem Dietmayr von Molk oder Perger von Klosterneuburg nicht nachstehen
wollte, erfuhr die alte romanische Domkirche jene reiche barocke Umgestaltung. welche
sie noch heute als eines der bedeutendsten Werke im Lande erscheinen lasst, und waren
zwei der größten österreichischen Künstler thatig. der geistvolle Architekt Jacob Prandauer
und der Maler Daniel Gran. Ueber beide bringt Fahrngruber hochwillkommenes neues
Material in biographischer Hinsicht. Weiters spielen der jüngere Altomonte, Mungenast
Gedon, Bock und zahlreiche andere Meister in diesen interessanten Mittheilungen eine
Rolle, so dass wir das Buch als einen äulferst werthvollen Beitrag zur Kunstgeschichte
des 18. Jahrhundertes in Oesterreich betrachten müssen. Außer den vielen neuen Nach-
richten, welche es in solcher Hinsicht enthält, ist die trelfliche Arbeit aber noch durch
einen Umstand sehr wichtig: durch den richtigen Geist und die Anschauung, welche der
Autor als moderner Geistlicher in Kunstsachen bekundet. Er bekämpft energisch die
Richtung der verbissenen Gothikschwarmer und legt eine Lanze für die Style der Spät-
zeit ein. Er findet, dass die barocke Pracht und Lebensfreude mit der Andacht und dem
religiösen Sinne in gar keinem Widersprüche steht, und dass das Mittelalter auch für
die Kirche ein überwundener Standpunkt sei. Und er hat vollkommen Recht damit!
Mochte diese Denkweise unter den Standesgenossen des Verfassers doch immer weitere
Kreise ziehen! Es thäte höcblich Noth, auf dass der immer vandalischer auftretenden
Zerstörung unserer Barockaltäre und sonstiger Kunstgebilde der Spatzeit endlich ein
Ziel gesteckt würde; dieser Wahn sieht den höchsten Triumph religiösen Kunstgeschmackes
in der Vorliebe für einen geistlos schematischen Abklatsch der Gothik - der Gothik,
welche selbst in ihren Originalerscheinungen dem Geiste des heutigen Katholicismus
nicht mehr entspricht. ln diesem Sinne begrüßen wir das trelfliche Buch als einen
verständigen Mahnruf, als eine ehrliche That, und empfehlen es vor Allem den Kunst-
-freunden der Kirche als gesunde Medicin gegen den ReichenspergeHschen Spitzbogen-
paroxismus, der auf diesem Gebiete schon genug Unheil angerichtet hat. Fahrngruber
in St. Pölten stellt sich mit seiner Arbeit dem wackeren geistlichen Vorkämpfer derselben
Sache in Steiermark, Conservator J. Graus, an die Seite, und wir freuen uns aufrichtig
über das Wirken solcher verständiger Priester, welche es erkennen, dass die katholische
Kirche wider sich selbst wnthet, wenn sie eine Kunstrichtung befehdet, welche das sicht-
bare Denkmal einer Epoche ihres reichsten Glanzes, ihrer höchsten Machtstellung und
der ruhmreichsten Erfolge über ihre Widersacher bezeichnet. l.
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