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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1886 / 12)

 
Reiche Kirchen und Stifte, Fürsten und Bürger haben wohl auch nach 
der Reformationszeit - obwohl die Freude an den heil. Reliquien viel 
nachgelassen hatte, und man vielmehr auf Schmuck und prachtvolles 
Tafelgeschirr hielt - noch immer dem Goldschmiede, dem Erzgießer 
und seinen Genossen Arbeit für Reliquien gegeben. Aber es kann doch 
nicht geleugnet werden, dass überall die Skeptik gegenüber den Reliquien 
zunahm, die, da sie gefährlich wurde, die katholische Kirche bewog, eine 
eigene Congregation zur Prüfung der Reliquien einzusetzen, die nun das 
ganze Reliquienwesen in enge Grenzen eingeschränkt hat. Da waren die 
Aufträge von Reliquiaren selten genug und ging, da der Goldschmied und 
Gießer sich mehr mit Tafelgeschirr und Geschmeide beschäftigte, vieles 
von der Stylisirung dieser Gegenstände auf die Reliquiare über. 
Die Renaissance hat schnell, namentlich in Italien, ihre eigenen 
Formen auf die Reliquiare übertragen; hier wie auch sonst zeigt sich 
das auf die Künstlerindividualität gerichtete Wesen der Renaissance, so 
dass es schwer wird, vom Speciellen loszukommen. In sehr vielen Fällen 
ging in Italien das Reliquiar im Großen geradezu in das Grabdenkmal 
über; ich erwähne statt Vieler das Grabdenkmal des heil. Petrus Martyr 
zu S. Eustorgio in Pisa (1339) von Giovanni Baducci '). Freilich lässt sich 
sogar in Italien annehmen, dass noch in der eigentlichen Frührenaissance 
vielfach, namentlich unter deutschem Einflusse, die italienisch-gothischen 
Formen an Reliquiaren wiederkehrten, denn sicher sind manche Ta ber- 
nacu la - d. h. in ein uns verständliches Wort umgesetzt: "Monstranze- 
welche nach 148g im Schatze von S. Pietro erscheinen, noch Producte des 
15. Jahrhundertes, und werden doch (wie das Reliquiar von Genua aus 
dem 14. Jahrhunderte noch ist) als in Form einer Burg, ringsum mit 
Figuren, hoch oben mit einem Falken, beschrieben. 
Auch in Frankreich blieb der Goldschmied und Gießer beim Ver- 
fertigen der Reliquiare häufig noch bei der gothischen Tradition; so 
ward 1529 für die Gebeine des heil. Ludwig ein Reliquiar in Form einer 
Capelle mit zwei Stockwerken verfertigt. Nicht ahders war es in 
Deutschland, wo gerade die Goldschmiede, lange bis über das 16. Jahr- 
hundert hinaus, an den liebgewordenen Schablonen des gothischen Styles 
festhielten; ich erwähne als Beispiel die gothische Monstranze von Wolfs- 
berg vom Jahre 1611. Dass aber auch die Renaissance wunderbare 
Schöpfungen hervorbringen konnte, die sich dem Besten, was das Mittel- 
alter leistete, an die Seite stellen lassen, sehen Sie aus den Schätzen der 
reichen Capelle in München. Gerade die Monstranze, das Haupt- 
reliquiar der späteren Zeit, zeigt die Wandlungen, welche der Geschmack 
der Goldschmiede unter dem Drucke der jeweiligen Mode mitmachen 
musste bis in unsere Tage, welche wieder zum gothischen Geschmacke 
im Reliquiar zurückgekehrt sind. So kam es denn, dass seit dem vorigen 
') Abbild. Agincourt, Sculpt; Taf. 34.
	        
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