stehende Textilproduction noch heute in überwiegenden: Maße zeigt,
vor etwa zwanzig Jahren aber geradezu ausschließlich gezeigt hat. Die
Productionsweise des Hausfleißes wurde schon oben als eine primitive,
antiquirte Stufe der Erwerbsthätigkeit gekennzeichnet. die heutzutage
bei den meisten Culturvölkern Europa's längst außer Gebrauch gekommen
ist. Der Schluss liegt nahe, dass auchfdasjenige, was man in Folge dieses
Zurückbleibens hinter den wirthschaftlichen Umwälzungen der Zeit bis
auf den heutigen Tag producirt hat, eine ältere, antiquirte Stufe der
Textilkunst darstellt, die wir innerhalb ihrer Geschichte zu suchen haben.
Damit verbindet sich bereits die Annahme, dass auf derselben Stufe einst-
mals alle heutigen Culturvölker Europa's gestanden sein müssen. Aber
selbst wenn wir die Abstammung dieser sogenannten nationalen Haus-
industrie von einer urslavischen Textilkunst voraussetzen wollten, müssten
wir uns auf die Suche nach jener in der Vergangenheit liegenden Zeit
begeben, wo Deutsche, Magyaren und Rumänen unter den künstlerischen
Einßuss der Slaven gerathen sind, welcher Einßuss sich doch nach Allem,
was die Kunstgeschichte Analoges lehrt, nicht ausschließlich auf das
textile Gebiet beschränkt haben konnte.
Auf dieser Suche kommen uns nun zunächst die viel besprochenen
spätantiken Funde aus Aegypten zu statten, indem sie uns erlauben,
mit voller Sicherheit festzustellen, dass die vorhin geschilderten Arten
der Leinenverzierung - die primitive Buntweberei ausgenommen - aus
dem Alterthum nicht übernommen sein können. Ihre Entstehung muss
jünger sein, und zwar in eine Zeit fallen, da die im Alterthum zur
Leinenverzierung überwiegend verwendete Technik der Wirkerei (minder
richtig, aber gemeinverständlicher Gobelinweberei genannt) bereits außer
Gebrauch gekommen war. Wir vermögen mit ziemlicher Sicherheit zu
behaupten, dass die Verdrängung der Wirkerei durch das Eindringen der
Seide erfolgt ist, deren Vorzüge durch die Wirkerei nicht so zur Geltung
kommen konnten, wie durch die Weberei, für deren technische Vervoll-
kommnung sich die Seide aber auch viel gefügiger zeigte, als Wolle und
Leinen. Die Folge war, dass man unter dem Einfiusse der Seidenweberei
in der Webetechnik so weit gelangte, um auch in der Leinenweberei
von den lancirten streifenförmigen oder broschirten geometrischen Streu-
mustern zu reicheren Ornamenten fortzuschreiten. Wie sehr man hiebei
in Abhängigkeit von der Seide blieb, zeigen die blau oder roth gewebten
Bordüren der Antependien, Tischtücher u. dgl. des 15. und 16. Jahr-
hunderts mit denselben paarweise gegeneinander gestellten Bestien und
Vögeln, wie wir sie an den gewebten Seidenstoden des 10.-12. Jahr-
hunderts antrelfen. Gegenüber diesen spätmittelalterlichen Leinen-Bunt-
webereien repräsentiren aber diejenigen der Südslaven sowohl nach der
technischen als nach der ornamentalen Seite eine noch ältere Stufe, und
zwar jene, die - wie die ägyptischen Funde lehren - die jungen Cultur-
vülker des werdenden Mittelalters von der Antike übernommen haben.
(Schluss folgt.)