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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IV (1889 / 8)

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weisen'), und das, was an einigen ägyptischen Stickereien als Kreuznaht 
erscheinen möchte, ist in Wirklichkeit nur ein Nothbehelf, um mit der 
Wirknadel eine mit der Kette parallel laufende Linie zu erzielen. Die 
vornehmste Rolle spielte seit jeher unter den Sticktechniken nach ge- 
zählten Faden der Kreuzstich, und in diesem sind auch überwiegend die 
ältesten erhaltenen Leinenstickereien aus dem Spätmittelalter ausgeführt. 
Hier finden wir schon die geometrischen Muster, meist im Rautenschema 
vertheilt, sowie die stilisirten Bäumchen, die dann in der Renaissance in 
Verbindung mit dem Vascnornament die ausgedehnteste Anwendung Hnden. 
Ornament und Technik entsprechen hiebei einander auf's Vollkommenste, 
und beide bleiben zusammen in Uebung bis tief in's vorige Jahrhundert 
hinein, als einerseits classicirende Formelemente, anderseits die Tech- 
niken des Feder- und Kettenstichs in die Leinenverzierung Eingang fanden. 
Was also die Leinenstickereien nach gezählten Faden anbelangt, so sehen 
wir die dieser Gruppe angehörigen Ornamente der sogenannten natio- 
nalen Hausindustrie als ein sozusagen internationales Gemeingut der 
europäischen Völker, namentlich Mitteleuropa's, mindestens vom späteren 
Mittelalter an bis an die Schwelle unseres Jahrhunderts. 
Die zweite Gruppe der nationalen Hausstickereien ist durch Platt- 
stich hergestellt. Dieser wurzelt nicht in der Beschaffenheit des Leinen- 
grundes; er ist vielmehr aus der Seidenstickerei hervorgegangen und von 
dieser auf die Leinenstickerei übertragen worden. Bei näherer Betrachtung 
erkennen wir auch in den großen nelken-, tulpen- und rosenförmigen 
Blüthen, sowie in den Knospen des sogenannten Apfeldurchschnittes 
lauter gute Bekannte, die namentlich in der Barockzeit als Mitteldinge 
zwischen stilisirter und naturalistischer Blumistik die vornehmsten Orna- 
mente der Seidenstickerei ausmachten. Während im 16. Jahrhundert der 
stilisirende Kreuzstich in der ornamentalen Leinenstickerei noch weitaus 
vorherrschend war, nahm das 17. Jahrhundert ohne Bedenken die massiven 
klatschigen, dem Naturalismus zuneigenden Blumen aus der Seidenstickerei 
in die Leinenverzierung herüber. An dem seidengestickten Stabe einer 
Casel des 17. Jahrhunderts in den Sammlungen des Oesterr. Museums 
kann man in lapidarer Größe die nächsten Angehörigen derselben bota- 
nischen Familie sehen, der gewisse slavische Plattstickereien ihre Blumen- 
ausstattung entlehnt haben. Von ganz besonderer Beweiskraft sind hiefür 
ferner die bunten Seidenstickereien auf Leinen aus den Elbmarschen bei 
Hamburg, die gleichfalls dieselben Blumenornamente zur Schau tragen 
und nachweislich noch in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts 
angefertigt wurden, - auch ein Beweis für die Langlebigkeit älterer 
von der monumentalen Stilentwickelung längst überholter Formen, sofern 
nur isolirende geographische oder politische Verhältnisse es zulassen. 
') Doch verrhh Nr. 582 (Kanal. der lgypt, Funde im Oeslerr. Museum) immerhin 
einige Berücksichtigung des Fadengrundes.
	        
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