türkisch-persische Kunst heute so fremdartig entgegentritt, als ob unsere
Urahnen in romanischer Zeit nicht denselben Geschmack an Bandver-
schlingungen und Wellenranken, an Ianzett- und lilienförmigen Blatt-
formen gehabt hätten, wie die arabischen Eroberer Syriens und Persiens.
Nur eines von den heutigen Völkern Oesterreich-Ungarns hat thatsächlich
in seiner Textilproduction orientalisches Gepräge aufzuweisen: es sind
dies die Bewohner Bosniens, die aber bis vor Kurzem noch unter tür-
kischer Herrschaft gestanden sind, welches Schicksal keines von den
übrigen Völkern der Monarchie in so durchgreifendem und so dauerndem
Maße gehabt hat. Im 15. Jahrhundert, 'da Bosnien noch vvon einhei-
mischen christlichen Königen regiert wurde, werden seine Bewohner
ebenso gestickt haben, wie die übrigen Anwohner des Adriatischen
Meeres, unter denen damals die Venezianer den politischen und den
künstlerischen Primat innehatten.
Auch byzantinischen Einfluss hat man in der sogenannten natio-
nalen Hausindustrie finden wollen, namentlich mit Rücksicht auf manche
stilistische Gemeinsamkeiten mit den Erzeugnissen der russischen Haus-
industrie. In den Zeiten, in welche nach den obigen Darlegungen die
Wurzeln dieser Hausindustrie zurückgehen, hat es in ornamentaler Be-
ziehung zwischen byzantinischer und westeuropäischer Kunst keinen
fundamentalen Unterschied gegeben. Die Byzantiner mochten vielleicht
feiner gestickt haben, als die Franzosen oder die Deutschen, aber wesent-
liche stilistische Verschiedenheiten im Ornamentalen hat es zwischen
beiden Kunstgebieten damals gewiss nicht gegeben.
Nach dem Gesagten wird es klar, nach welcher Seite der eigenta
liche Werth der Erzeugnisse der sogenannten nationalen Hausindustrie in
Oesterreich-Ungarn zu suchen ist. Sie illustriren uns die textile Profan-
kunst einer Zeit, aus der uns zwar manche monumentale Denkmäler
kirchlicher Textilkunst, meist Goldstickereien auf Seide, Heiligenfiguren
in Nadelmalerei u. dgl., keineswegs oder nur in sehr geringem Maße
dagegen textile Gebrauchsgegenstände erhalten geblieben sind, die man
ihres geringeren Werthes halber nicht mit der Sorgfalt behandelte und
aufbewahrte", wie jene liturgischen Gewandstiicke. Der rasche ,Wechsel
der Mode in den letzten Jahrhunderten hat vollends die Conservirung
älterer Leinenstickereien fast zur Unmöglichkeit gemacht. Unter den
günstigen geographischen und politischen Verhältnissen einzelner - na-
mentlich slavischer - Völker Oesterreich-Ungarns konnte sich diese
ältere Verzierungsweise in so bunter Mannigfaltigkeit erhalten, während
die führenden Völker, wie die Deutschen, die Polen und die böhmischen
Czechen, die Stilwandlungen seit der Barockzeit mitgemacht und mit
Eifer die chinesischen Nadelmalereien und tambourirten a la grecque-
Muster der Franzosen nachgemacht haben. Der historische Werth dieser
angeblich nationalen Hausindustrie erfährt also durch unsere Auffassung
keineswegs eine Schmälerung, sondern vielmehr eine Erweiterung, wenn