wir uns mit ihrer Hilfe in die lebendige Anschauung des Schadens ver-
i-lossener Kunstperioden versetzen können, wozu uns kaum eine andere
Gruppe von Kunstdenkmälern in gleichem Maße die Mittel an die Hand
gibt. Wir erfahren dabei dieselbe Empfindung, die wir bei Beschauung
der ägyptischen Textilfunde empfingen, nur dass diese eine noch reichere
Formenwelt vor unseren Augen aufdeckten, von deren Vorhandensein wir
vorhin kaum eine Ahnung hatten. Auch sonst existiren Analogien zwischen
den beiden genannten textilen Gruppen: auch die ägyptischen Funde
haben uns einen tiefen Einblick in das intime Kunstleben nicht einer
einzelnen. Nation, sondern einer ganzen weit ausgebreiteten Culturwelt
gewährt, die von den Säulen des Herkules bis an den Indus reichte.
Wer aber einen jahrhundertelangen Stillstand, wie wir ihn an der soge-
nannten nationalen Textilindustrie Oestetreichs zu gewahren glauben,
für unmöglich hält, der möge die heutige Fortentwickelung derselben
an jenen Punkten betrachten, wo bisher keine künstlichen Eingriffe von
Außen dazwischen gekommen sind, so z. B. in Ostgalizien. Wir haben doch
in den letzten 25 Jahren eine kunstgewerbliche Umwälzung durchgemacht,
wie sie in der Kunstgeschichte bisher beispiellos dasteht, haben während
dieser Zeit in allen historischen Stilarten gestickt: die ruthenische Bäuerin
hat sich aber inzwischen um all' das nicht gekümmert und stickt noch
heute dieselben geometrischen Muster in ihre grobe Leinwäsche, wir vor
25 Jahren, und wird sie so lange weitersticken, bis auch ihr die unaufa
haltsatne Umwälzung der wirthschaftlichen Verhältnisse gebieterisch nahe-
legt, billige Maschinstickereien zu kaufen und die bisher zum Sticken
verwendete Zeit anderweitig nutzbringend zu verwerthen. Die Tage des
textilen Hausfieißes sind eben bereits gezählt, und es gilt daher, mit um
so größerem Eifer seine Ueberreste zu sammeln. Denn seine muthmaß-
liche Erbfolgerin - die eigentliche Hausindustrie - wird uns durch
ihre kühl berechnende Production niemals Ersatz bieten können für all'
den Duft und Glanz, der die Hervorbringungen des naiven und selbst-
losen Hauslieißes auszeichnete.
Angelegenheiten des Oesterr. Museums und der mit
demselben verbundenen Institute.
Jubiläum des Oesterr. Museums. Anlässlich des Jubiläums des
Oesterr. Museums ist aus dem Kreise der Kunstgewerbetreibenden auch
der Gemahlin de_s Erzherzog-Protectors Rainer, der Frau Erzherzogin
Marie Rainer, gedacht worden. Das Mitglied des Kunsgewerbevereines,
die Kunststickerin Frau Stephanie Gräfin Castelnau, hat nämlich nach
Zeichnung des Hofraths Stn rck ein prachtvolles Polster mit dem Wappen
der Erzherzogin in Flachstickerei ausgeführt und der hohen Frau zum
Geschenke gemacht. Die Erzherzogin hat dieses schöne Werk österrei-
chischen Kunstfleißes huldvoll angenommen und der Gräfin Castelnau