zu üben. Es ist nicht richtig, etwa während der Völkerwanderung von
"einer völligen Unterbrechung künstlerischer Thätigkeit zu sprechen. Nur
dass manche barbarische Formen eindrangen , nur dass die aus den
Barbaren sich heranbildenden Künstler nicht allein eine schwere, un-
gefüge Hand, sondern auch ein blödes Auge haben, das die wahre
Schönheit eben nicht sieht. Aber was selbst sie erzeugen wollen, ist doch
wieder nur das Abbild jener antiken Formen, die ihnen überall vor Augen
sind: die Tradition der Antike, die sogar noch hie und da "in ausübenden,
den unterdrückten Nationen angehörenden Künstlern fortlebt und sich weiter-
vererbt; die Tradition der Antike wunderlich umrankt und gepaart mit
dem Urweltszopfgeflechte der Barbaren aller Völker: das ist die Kunst
während und noch lange nach der Völkerwanderung"). Noch existirte das
römische Reich, da waren diese Elemente an den äußersten Grenzen des
Reiches, in Britannien, an den Grenzen Germaniens schon combinirt. Mit
den "schottischen-t Missionaren kam diese Verbindung barbarischen und
antiken Geschmacks nach dern Innern Deutschlands, wurde in Klöstern
und Domschulen gepflegt. Entsetzliche Formen entstanden. Erträglich wird
die Combination, wenn die Nachahmung der Antike mit mehr oder
weniger Bewusstsein vorwiegt. Und das geschah doch zunächst in jenen
Gegenden, wo lange genug die Römer selbst eine höhere Cultur gepliegt
hatten. Kein Wunder, wenn in der Maasgegend, in einem Kloster Alten-
eyck, noch vor Karl d. Gr. eine Handschrift von zwei Nonnen mit
Zeichnungen ausgestattet wird; ihre Namen sind Hernlindis und Renildis:
die eine der Künstlerinnen vertritt die Richtung des alten barbarischen
Schlinggeliechtes und Schlangengeschlechtes, die andere stellt neben dieses
reinere Formen nach antiken Mustern. Beissel, der in den Stimmen aus
Matia-Laach i89o, S. 337, dieses Beispiel anführt, hat den Codex, der jetzt
in Maeseycks sich befindet, gesehen. Sollte diese Mischung barbarischen
Geschmacks und antikisirender Nachahmung wirklich künstlerischen Werth
erhalten, dann musste das Geliechtwerk und das Drachengewübl dorthin
gebannt werden, wohin es gehört, es musste die autike Tradition ge-
kräftigt, von jenem Gewühle losgelöst werden, es musste das Gefühl für
die Feinheit der Zeichnung, des Colorites, der Harmonie in der Composition
geweckt und gehoben, es mussten die alten Techniken vervollkommnet,
neue herbeigeholt werden. Dazu genügten nicht die Vorbilder, weder die
alten, noch die neuen aus fremden Landen herbeiströmenden"): dazu
bedurfte es der Lehrer. Und das waren die aus den romanischen Landen
') Vgl. E. Münu, Etudes iconographiques et areheologiqucs sur le moyen-äge,
Paris 1887.'Letz;e Abhnndl.
"') Das zeigt die Apokalypse, welche nach Lamprechr (lnilialornamentik des 8. bis
13. Jahrhunderts, S. 26) von einem ahgclsachsischen Maler illustrirt wurde, aber nach
Janilschek (Gesch. der Malerei, S. 45, Note) auf deutschem Boden, [vielleicht in Trier
entstand. Der Maler hatte ein frühchristlichen italienisches Werk als Vorlage, aber er gab,
wie Jlnitschek sagt, dem eigenen Schailelisdrange rückhaltslos nach (Ende des 8. Jahrhs.).
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