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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1891 / 3)

freilich auf die Dauer vergebens, denn, wenn sie im Laufe der Geschichte 
wieder und wieder dem Einliuss der Mode ausgesetzt gewesen, so sind 
sie heute, wo die moderne Cultur mit Eisenbahnen und Telegrapheu in 
die tiefsten und abgelegensten Thäler eindringt, mit vollständigem Unter- 
gang bedroht. Es wird kaum lange dauern, so werden wir sie nicht mehr 
an Ort und Stelle, sondern nur noch in Museen zu suchen haben. Schon 
ist Berlin mit der Gründung eines deutschen Volkstrachten-Museums 
vorangegangen. ' . . 
In geschichtlicher Betrachtung stehen wir zunächst vor der Frage: 
wie alt sind denn diese Volkstrachten? wann und wie sind sie entstanden? 
Dass sie vor uralten Zeiten mit den Bewohnern in die Gegend, wo sie 
zu Hause sind, mit eingewandert, daran wird wohl Niemand denken, 
und das umsoweniger, wenn er an diesen Trachten so vieles sieht, das 
überhaupt erst später und sehr spät entstanden ist. Manche unserer Fi- 
guren, z. B. der Vorarlberger, wollen sogar einen sehr modernen Ein- 
druck machen. Wir entdecken bei ihnen die hohe Taille des Kleides, 
welche erst im Zeitalter der französischen Revolution zur Mode wurde; 
wir finden bei ihnen geblümte Stoffe, welche (selbstverständlich neu in 
der Mache) frühestens auf Modestolle des 18. Jahrhunderts hinweisen; 
wir sehen Hauben von Gold- und Silberspitze, welche man vor dem 17., 
ja vor dem 18. Jahrhundert überhaupt nicht anfertigte. Wir sehen ferner 
bei den Männern die langen, rückwärts gespaltenen Röcke, die Reihen 
der blanken Knöpfe, welche dem I7. und 18. Jahrhundert angehören; 
wir sehen die Schnallenschuhe, die sammtnen Kniehosen und Strümpfe, 
die lange SchoBweste, deren Träger uns wie Caricaturen der Rococo- 
herren erscheinen; wir sehen andere, welche uns den leibhaftigen Werther. 
um nicht zu sagen den jungen Goethe oder die Helden der Revolutions- 
zeit und die Incroyables des Directoriums vom Ende des vorigen Jahr- 
hunderts in die Erinnerung bringen. 
Forschen wir andererseits darnach, wie denn in früheren Zeiten das 
Landvolk, die Bauern, die Handwerker in den Städten gekleidet gewesen, 
vor der Zeit nämlich, welche ihre gegenwärtige Volkstracht vermuthen 
lässt, so lässt sich auch damit der Beweis ihres jungen Alters herstellen. 
Zwar Abbildungen dieser Menschenclasse aus dem Mittelalter sind selten. 
im I6. Jahrhundert werden die Bauern aber, sozusagen, modern, und nicht 
blos die Kupferstiche und Holzschnitte stellen mit Vorliebe Bauernscenen 
dar, auch die Trachtenbücher, wie das von Hans Weigel, berücksichtigen 
sie. Bauern, Bürger und Bürgerinnen des niederen oder des Handwerker- 
standes, Fuhrleute, Dienstboten, Marktleute, sie alle finden sich abgebildet, 
immer aber lässt ihre Kleidung in vereinfachter und uneleganter Gestalt 
die gleichzeitige Mode erkennen. Eine Ausnahme machen allenfalls Kopf- 
bedeckungen, welche nicht selten an die vielgestaltigen Kopftrachten, 
an die Hüte und Hauben des 15; Jahrhunderts erinnern und ihre gro- 
tesken Fornien in verkleinerter Gestalt fortführen. Immer sind das nur 
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