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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1891 / 3)

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Einzelheiten, und so lässt sich die Behauptung aufstellen und recht- 
fertigen, dass die sogenannten Volkstrachten im Mittelalter, ja in der 
Mitte des 16. Jahrhunderts noch nicht existirten. Sie sind also durchweg 
Schöpfungen der neueren Zeit, hervorgegangen aus ehemaligen Modea 
formen, entstanden durch die seit dem 16. Jahrhundert immer wachsende 
Absehließung der Stände, der Bezirke und Ortschaften, mannigfach aber 
verändert und oftmals zur Caricatur geworden durch locale Ereignisse 
und den Ungeschmack der Träger und Trägerinnen. 
Wie sehr die Formen auf diese Weise auseinander gehen und zu- 
gleich zu grotesker Missgestalt werden konnten, beweist die Collection 
der männlichen und weiblichen Hüte aus den österreichischen Alpen- 
ländern, welche fast die ganze Länge des Saales Vll einnimmt. Keine 
von allen diesen Formen existirte im Mittelalter oder nur im 16. Jahr- 
hundert. Nur die Urform war da, der Filzhut, welcher, nachdem er die 
steife spanische Modeform in der zweiten Hälfte des I6. Jahrhunderts 
durchgemacht hatte, im Anfange des 17. Jahrhunderts in der wildbewegten 
Zeit des Dreißigjährigen Krieges jene wohlbekannte Gestalt des großen 
Schlapphutes mit xbreiter Krämpe annahm. So trugen ihn damals die 
Herren und auch die Frauen, letztere allerdings in eleganterer Gestalt. 
Kein Wunder also, dass wir ihn auch auf den Köpfen der Frauen. 
wie auf denen der Männer, in den österreichischenAlpenländern wieder- 
finden. Aber welche Mannigfaltigkeit, welche Verschiedenheit, alle der 
einen Urform entwachsen! Jeder Ort, jedes Thal hat seine eigene Gestalt. 
Die einen haben den Kopf verkleinert, fast auf nichts reducirt, dagegen 
den Rand , die Krämpe zu einer ungeheuren Scheibe, regenschirmartig, 
ausgedehnt. Die anderen haben umgekehrt die Krämpe verkleinert, den 
Kopf dagegen hoch und breit oder lang und spitz gemacht. Die einen 
sind langhaarig, die anderen kurzhaarig; die einen sind schwarz, andere 
weiß, andere grau, grün oder mit Roth gefüttert; andere wieder bemühen 
sich, Kopf und Rand eleganten Schwung zu geben, wie z. B. an den 
weißen Hüten zu ersehen ist. 
Diese ganze Bewegung, zu welcher zunächst der Dreißigjährige 
Krieg den Anstoß gegeben, ist abseits der Mode vor sich gegangen, 
denn eben derselbe Hut hat in der Geschichte der europäischen Mode 
auf den Köpfen der vornehmen Herren und in den Städten eine ganz 
andere Reihe von Veränderungen durchgemacht, welche sich erst nach 
anderthalb Jahrhunderten mit dem heutigen Cylinder der Urform wieder 
näherten. Der modische Hut bog die große Krärnpe dreiseitig auf, klappte 
dann zweiseitig zusammen, als er wegen der großen Perücke unter dem 
Arme getragen werden musste, und als solch" zweiseitiger Klapphut, 
allerdings wieder für den Kopf eingerichtet, ist er uns als Militär- und 
Civiluniformhut geblieben. Mit den Puritanern, lndependenten, Quäkern 
ist die Urform, diejenige zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, nach 
Amerika hinübergegangen und uns von dort in der Form. des steifen
	        
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