MAK

Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1891 / 11)

lä 
Man wird vielleicht gegen die von mir entwickelte Forderung ein- 
wenden, dass Denkmäler, wie die soeben beschriebenen, der Beziehung 
zu dem Orte, auf welchem sie stehen, und zu der Veranlassung, aus 
welcher sie gesetzt wurden, entbehren. Nun, dagegen möchte ich be- 
merken, dass sich die Nothwendigkeit einer solchen Beziehung aus dem 
Begriffe des Denkmales nicht ergibt und möchte daran erinnern, dass 
auch jene Periode der Grabsculptur, die inhaltlich ein Höchstes hervor- 
hrachte, die der griechischen Antike, wie wir gesehen haben, nur in ver- 
einzelnten Fällen eine solche Verbindung hergestellt hat. Aber wie dem 
auch sei, es finden sich auch auf unseren Friedhöfen Grabmäler, in denen 
der Charakter des Grabmonumentes als eines Denkrnales des Verstorbenen 
bewahrt erscheint, andererseits ein sehr bedeutsames und dem modernen 
Empfindungsleben entsprechendes Verhältniss zum Tode ausgesprochen 
ist - ich meine die Grabmäler mit Abschiedsscenen. Als ein Beispiel 
aus allerjüngster Zeit nenne ich Tilgnefs Grabdenkmal der Gräfin Liebig- 
Radetzky auf dem Centralfriedhofe. Wirkungsvoll und die Umgebung 
beherrschend erhebt sich an der Kreuzung zweier Strassen ein Grabbau 
im griechischen Tempelstile mit zwei Säulen, welche eine Thüre flankiren. 
Auf den Stufen, die zu diesem Baue führen, steigt die Verstorbene hinan, 
ein blühendes Weib, dessen jugendliche Glieder ein antikisirendes Gewand 
umgibt. Einen Fuß setzt sie zögernd auf die letzte Stufe, die rechte 
Hand ist erhoben, um die Thüre zu öHnen, aber mit Oberleib und Kopf 
wendet sie sich noch einmal zurück und ihr Blick scheint, ohne sich 
auf einen bestimmten Punkt zu richten, noch einmal alle Bilder der 
schönen Wirklichkeit umfassen und aufnehmen zu wollen, bevor sie für 
immer von ihnen scheidet und in die Grabespforte eintritt. Süßes Leben, 
freundliche Gewohnheit des Daseins - von dir soll ich scheiden! Diese 
rührende Klage und zugleich die stille Ergebung in ein uuabänderliches 
Geschick ist seit den Tagen des 5. Jahrhunderts, da der attische Meister 
die Myrrine durch Hermes Psychopompos in die Unterwelt hinabführen 
lässt, nicht wieder mit so unmittelbarer Wirkung dargestellt worden wie 
in dem Monumente Liebig-Radetzky. Wie hier das Weib von der ganzen 
Welt der Erscheinungen, so nimmt an einem von Zumbusch gefertigten 
Grabmal auf dem südlichen Kirchhofe eine Mutter Abschied von dem, 
was für sie die Welt ausmacht, von ihren Kindern. 
Dass die Grabmäler, in denen das Thema des Abschiedes angeschlagen 
ist, von Vornherein einer großen Wirkung sicher sind, ist nicht zufällig. 
Unsere Zeit weiß, dass sie dem Tode nicht mehr mit Hoffnungsfreudigkeit 
gegenüberstehen darf. Aber aus dieser Erkenntniss fällt als das Frühroth 
einer neuen Weltanschauung und eines neuen Sittlichkeitsprincipes, Licht 
zurück auf das menschliche Dasein und rückt seinen Werth und seine 
Pflichten in hellere, kräftigere Beleuchtung. Von diesem gesteigerten 
Lebensdrange und von der erhöhten Werthschätzung des Daseins giebt 
die Kunst schon jetzt mit den Abschiedsscenen auf den Grabmälem muthig
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.