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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1892 / 1)

dens. Mit Recht liebt es die moderne kunstgeschichtliche Forschung darauf 
hinzuweisen, wie in Italien schon im I4. Jahrhundert gleichsam ein littera- 
risches Vorspiel zur Anbahnung engerer Beziehungen zur Natur begann. 
Wichtige Veränderungen in der italienischen Kunst des 15. Jahrhunderts 
werden erst recht verständlich, wenn wir sie mit bestimmten Ideen und 
Bestrebungen der Humanisten und classischen Dichter des vorangegangenen 
Jahrhunderts in Beziehung bringen. - Den neuen Schöpfungen auf künst- 
lerischem Gebiete geht ein Umschwung im Reiche des Gedankens voraus, 
der nicht allein die Phantasie der Künstler in neue Bahnen lenkt, sondern 
auch das gesammte italienische Volk in Stand setzt, einer neuen Kunst 
richtiges Verständniss und volle Genussfähigkeil entgegenzubringen. 
Die Dichter erwecken zuerst jene flammende Begeisterung für das 
Naturschöne, welche die Kunst bis an die Grenze der Hochrenaissance 
begleitet. Bei Dante ist die Annäherung an die Natur besonders in Bildern 
und Vergleichungen deutlich zu erkennen. Unmittelbare Naturempiindung 
spricht aus seinen Versen, wenn er die Morgenlüfte mit dem fernzitternden 
Licht des sanft bewegten Meeres, den Sturm im Walde, den Genuss einer 
Fernsicht, mit knappen, aber treffenden Worten schildert. 
Noch intensiver wirkt auf Petrarca die Natur. ln seinen Sonetten und 
Canzonen setzt er mit tief ergreifender Gemüthsinnigkeit das Seelenleben 
mit der umgebenden Natur in Verbindung. Reizvoll weiß er Liebesglück und 
Liebesschmerz zu verschlingen und zu durchdringen mit dem Leben und 
Weben der Natur. Das Säuseln der Lüfte, das Spiel der Wellen, Blüthen- 
p'racht und Nachtigallensang, ihfaldeinsamkeit und der finstere Ernst der 
Berge erwecken Empfindungen voll poetischer Wahrheit in seiner erreg- 
baren Seele. Boccaccio dagegen ist vornehmlich der genaue Beobachter 
der äußeren Erscheinung der Menschen. Rasch erfaßt er das Charak- 
teristische und mit offenem Auge verfolgt er die Einzelheiten mensch- 
licher Schönheit; und zwar gibt sich diese Eigenart nicht so sehr im 
Decamerone, wo er namentlich die Leidenschaft, Ungebundenheit und 
Schrankenlosigkeit der menschlichen Natur schildert, als vielmehr in seinen 
Romanen deutlich zu erkennen. 
S0 lehren die Dichter die Reize der Natur als Ergänzung eines 
wonnevollen Daseins zu betrachten und durch sie das Leben zu ver- 
schünern und zu veredeln. Sie erheitern die Sinne, machen sie empfänglich 
für jeglichen Genuss und der fröhliche Ton, den sie anschlagen, er klingt 
fort in den Gemälden eines Benozzo Gozzoli nicht minder, wie in den Com- 
positionen des Botticelli, er erfasst zuweilen selbst den ernsten Donatello 
und steigert sich bis zu hellem Jubel in den Arbeiten der Della Robbia 
und Anderer. Scharfe Naturbeobachtung ist die gemeinsame Basis dieser 
wie der meisten anderen gleichzeitigen Schöpfungen. 
Unbefangen greift der Künstler hinaus in die reiche Erscheinungs- 
welt, wie es vor ihm der Dichter gethan, und sucht sie wiederzugeben, 
so wahr, lebendig und unmittelbar, wie sie sich seinen offenen Sinnen
	        
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