119,6
lande, an Flandern oder Brabant denken, an die Heimat der Arrazzi, deren
Fabrication ja dort schon im 14. Jahrhundert in Blüthe stand, und man hat
unsere Teppiche auch wohl von dort ableiten wollen. Dem aber stehen
deutsche Inschriften mit hochdeutschen Versen entgegen, welche auf eine
siid- oder mitteldeutsche Heimat hinweisen. Auch Süddeutschland (von
damals) ist es, von Kärnten bis Basel, wo die Beispiele wieder auf-
gefunden worden. Wir haben also wohl eine der großen mittelalterlichen
Fabrikstädte Süddeutschlands, welche ohne Zweifel weitere Nachfor-
schungen entdecken werden, als die Heimat zu betrachten. Ein Beispiel
gleicher Art mit einer norddeutsch lautenden Inschrift, im niedersächsi-
schen oder niederländischen Dialect ist meines Wissens nicht vor-
handen; ebensowenig stimmen dazu die französischen Teppiche, welche
zu gleicher Zeit schon in Paris verfertigt wurden.
Wie gesagt, was diese Arbeiten zu einer geschlossenen Gruppe zu-
sammenbindet, das sind ihre figürlichen Darstellungen. Diese sind sämmtlich
allegorisch-poetischer oder phantastischer Art, selbst wo das Leben die
Motive und Gegenstände dargeboten hat. Höchst bezeichnend in dieser
letzteren Beziehung ist ein großer Wandteppich im german. Museum, den
vor mehr als drei Jahrzehnten Baron Aufsess vom alten Pickert für
1500 G. kaufte; heute würde er das Zehnfache kosten. Dieser Teppich,
dessen vornehme, aber excentrische Costüme ihn in die genannte Zeit
gegen das Ende des 14. Jahrhunderts versetzen lassen, stellt in zahlreichen
Gruppen allerlei heitere und scherzhafte Scenen und Spiele aus dem
ritterlichen Leben dar, wie sie in Wirklichkeit vorgekommen sein mögen;
possenhafte Umwandlung der Turniere, lustige Scenen, welche die Herr-
schaft der Frauen carrikiren - alles noch unter dem Vorsitz der bereits
entthronten Königin Minne. Was in der höfischen Zeit ernste Galanterie
war, ist nun ein Gegenstand des Spottes und possenartiger Belustigung
geworden; immerhin spielen Poesie und Allegorie noch eine Rolle darin.
Einen ähnlichen, aber kleineren Teppich in der Form eines Rück-
lakens besitzt das Oesterr. Museum. Auch hier thront noch unter einem
Zelte die Königin Minne, mit einigen gekrönten Herren an der Tafel sitzend,
während eine zweite Scene die Erstürmung einer Burg darstellt, freilich
nicht, wie sie in jenen Zeiten wirklich vor sich gegangen, sondern Burg,
Angreifer, Vertheidiger - Alles ist phantastisch oder poetisch, wie es im
Sinne und Geschmack jener Zeit lag. Die Angreifer reiten auf seltsam
gestalteten Thieren und schießen Rosen in -die Burg hinein, welche
die Vertheidiger mit Lilien erwidern. Wir befinden uns also mit diesem
Teppich schon ganz in jenem Kreise von Darstellungen, welche die ganze
Gruppe charakterisirt. Aber mehr noch, die Männer, sowohl diejenigen,
welche mit der Königin Minne unter dem Zelte sitzen, wie diejenigen, welche
aufden seltsamen Thieren reiten, tragen buntfarbige zottige Kleidung und
charakterisiren sich dadurch als jene vwilden Männern, welche in der Kunst
wie in den Dichtungen des Mittelalters uns so häufig begegnen. Als