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Paul Schimmel
DER SPRUNG IN DIE LEERE
PERFORMANCE UND DAS OBJEKT
Nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust und der Atom
bombe kam es auf der ganzen Welt zu einem Bewußt
seinswandel. Die Möglichkeit einer globalen Vernichtung
machte den Menschen mehr als je zuvor die Fragilität einer
Schöpfung bewußt, die Zerstörungskräften von bislang
ungekannten Ausmaßen ausgeliefert war. Und sie vermittelte
ihnen auch mehr Einsicht in das Primat des Handelns, das
zu einem zentralen Anliegen des Existentialismus, der ein
flußreichsten philosophischen Bewegung der Nachkriegszeit
werden sollte. Dieses soziale, politische und philosophische
Erbe regte eine tiefgreifende Bewegung der bildenden Kunst
in den USA, Europa und Japan an.
Es gibt eine Tendenz in der Kunstgeschichte, Bewegungen
als voneinander getrennt zu betrachten, und zu denken, daß
Kunst nationale Grenzen nicht überschreiten könne. Es wird
indes immer deutlicher, daß keines dieser beiden Konzepte
zutrifft. In Wirklichkeit hatten Künstler aufgrund der wirt
schaftlichen und politischen Veränderungen, die während und
nach dem Zweiten Weltkrieg eintraten, mehr Möglichkeiten
zu internationalen Reisen als je zuvor. Parallel zu dieser
gesteigerten Mobilität verlief das dramatische Wachstum der
Massenmedien, deren Heißhunger sich auch auf die bilden
den Künste erstreckte. Die Experimente der Avantgarde in New
York hatten daher unmittelbare Auswirkungen in Europa und
Japan, und umgekehrt. So veröffentlichte die weitverbreitete
Zeitschrift Life etwa zahlreiche, stets von dramatischen Pho
tographien begleitete Artikel über die Künstler der New York
School, über die Gutai-Gruppe in Japan und das Destruction
in Art Symposium in Europa, und ermöglichte so einem brei
teren Publikum und auch den Künstlern, sich rasch über die
neuesten Entwicklungen in anderen Weltgegenden zu infor
mieren. Durch eine Analyse der Zeitabstände zwischen den
einzelnen Bewegungen und der Werke jener Künstler, die an
wechselnden Orten lebten, kann eine komplexere Darstellung
der Kunst der Nachkriegszeit skizziert werden.
In dieser Zeit begann eine überwältigende Zahl von Künstlern
aus den USA, Europa und Japan, ihre Produktion im Rahmen
einer Dialektik von Schöpfung und Zerstörung zu definieren.
Ob sie sich in einer kunstvollen Zen-Linie, einer heroischen,
jedoch flüchtigen malerischen Geste oder in einem explosiv
zerstörerischen Akt darstellten, Anfang und Ende wurden ihr
Thema - ein Thema, das sich aus der vorrangigen Beschäf
tigung mit der zeitlichen Dimension einer Handlung entwickelte.
Die Ausstellung »Out of Actions« ist eine umfassende Unter
suchung jener Werke, die in der Zeit von 1949 bis 1979 unter
diesem neuen Gesichtspunkt der Handlung produziert wur
den. International ausgerichtet, beginnt sie mit der Künstler
generation, die unter dem radioaktiven Niederschlag des
postatomaren Zeitalters heranwuchs und ihre Reife während
des Kalten Krieges erreichte, und sie endet mit der Genera
tion, die nach dem Vietnamkrieg und mit dessen Erblast eines
globalen Zynismus groß wurde.
Parallel zum Weg des Modernismus, der von den heroischen
Gesten des Abstrakten Expressionismus über die reduktiven
Tendenzen des Minimalismus zur Objektlosigkeit der Kon
zeptkunst führte, entwickelten sich die auf Aktionen basieren
den Arbeiten in dieser Ausstellung, Die Aktivitäten, Aktionen
und Performances von Künstlern dieses Zeitraums wurden suk
zessive als Gemälde, Skulpturen und Installationen realisiert;
sie haben die Form von Objekten, Requisiten, Relikten, Pho
tographien, Filmen und Videos angenommen, die ephemere
Ereignisse dokumentieren; und schließlich, in einigen Fällen,
blieb nichts als die sich ständig verändernden Wahrnehmun
gen des Publikums. Daher vollzieht diese Ausstellung für die
dreißig Jahre, diezwischen Höhepunkt und Ende des Moder
nismus liegen, die Umkehrung der traditioneilen Reihenfolge
nach, in der das Objekt der Handlung vorangeht. Aktionen, die
mit dem Ziel durchgeführt wurden, Objekte herzustellen, führ
ten zu der Ausführung performativer Aktionen, deren primä
res Ziel eher der Schöpfungsprozeß selbst als die Herstellung
von Objekten war; diese führten wiederum zu der Entstehung
von Performances, die oft eine Partizipation des Publikums ein
schlossen, und aus der kein Objekt mehr resultierte. Obwohl
es in diesen Arbeiten Momente von ausgelassener Respekt
losigkeit, Freude und Gelächter gibt, liegt darunter immer eine
gewisse Düsterkeit, die von der Erkenntnis eines scheinbar un
ablässigen Selbstzerstörungstriebs der Menschheit herrührt.
Von dem äußerlich explosiven Charakter der Arbeiten der frühen
fünfziger Jahre bis zu den innerlich selbstdestruktiven Arbei
ten der späten siebziger Jahre finden wir eine nachdrückliche
Infragestellung der Lebenserfahrungen in einem globalen Dorf
vor, das am Rande der Selbstauslöschung steht. Diese Aus
stellung ist weder eine Geschichte der Performancekunst der
Nachkriegszeit noch eine Geschichte der Malerei und Skulp
tur dieser Dekaden. Sie stellt vielmehr einen spezifischen Quer
schnitt durch die Geschichte der Kunst dar, dessen Aus
gangspunkt die Überzeugung ist, daß Performances, Aktionen,
Happenings, Events und Aktivitäten, die mit dem kreativen Akt
in Zusammenhang stehen, einen enormen Einfluß auf das Objekt
haben, das aus ihnen hervorgeht. Der folgende Essay präsentiert
einen solchen Querschnitt, indem er Werke von ausgewählten
Künstlern in der Ausstellung untersucht, die mit den wichtig
sten Knotenpunkten innerhalb des großen Netzwerks der Akti
onskunst der Nachkriegszeit in Beziehung stehen. Diese Kno-