Es sind nahezu fünfundzwanzig Jahre her, seit ich,
nicht aus Sucht nach Originalität, sondern von künst
lerischem Katzenjammer getrieben, versuchte, mein
baukünstlerisches Schaffen in andere als die bisher
betretenen Bahnen zu lenken. Achtzehn Jahre sind es
her, dafl ich an eine der beiden Baukunstschulen
der k. k. Akademie berufen wurde. Heute, in meinem
zweiundsiebzigsten Lebensjahre verlasse ich die Stätte
meines Wirkens - unermüdet und befriedigt.
Aus meiner Schule sind, wie dies alle Kulturzentren
bestätigen, beinahe nur ausgezeichnete Baukünstler
hervorgegangen, ein Umstand der seine Begründung
im Statute der k. k. Akademie findet, welches den
Lehrer berechtigt, die Wahl unter den sich meldenden
Schülern in Bezug auf Anzahl und Eignung zu treffen.
Ein Teil der Arbeiten des fetzten Schuljahres bringt
dieses Heft. Diese und die früheren Arbeiten werden
alle Jenen, welche meine Schulausstellungen be
sichtigten, überzeugen, daß das sukzessive künst
lerische „Werden“, der innige Kontakt der Kunst
mit dem jeweiligen menschlichen Empfinden und die
Erhaltung der Individualität der Schüler bei ihrem
Schaffen stets angestrebt wurden.
Die aus der Schule hervorgegangenen Meister und
Jünger haben meine Lehren in sich aufgenommen;
sie werden sie wieder ihren Nachfolgern übertragen.
Diese Lehren haben derart feste Wurzel gefaßt und
sind so stark in Fleisch und Blut übergegangen, daß
an ein Ausroden derselben nicht zu denken ist.
Deshalb hat die Schule ihre Aufgabe erfüllt.
Wien im September 1912
OTTO WAGNER