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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VIII (1893 / 11)

wieder bedienen konnte. So kam, je mehr die geflügelte Nike (bis in's 
7. Jahrh.) selbst von den Münzen verschwand, desto kräftiger die Engel- 
gestalt mit den Flügeln zur Geltung, so kamen in die byzantinische 
Kunst eine große Menge Personificationen aus antiker Zeit und neu ge- 
bildete Formen, die selbst die westliche christliche Kunst nicht alle 
benutzt hat; alle die Personificationen der Sonne, des Mondes, der Wind- 
götter, Flussgötter, Quellennymphen, der Winde, der Erde, der Einöde, 
der Berge, der Städte, die Tyche, die Nike, die Melodie, aber auch die 
Reue, das Gebet, Wahrheit, Weisheit, Prophezie, die Barmherzigkeit, die 
Demuth u. s. w"). Doch erscheinen sie nicht so von der Natur abgekehrt 
als die Cherubim und Seraphim, die ebenfalls nun nebst anderen physio- 
logischen Unmöglichkeiten zur_ Darstellung kamen. Der Anstoß dazu 
kam von Syrien her, wie es scheint, also jenem Lande, das einen noch 
viel zu wenig gewürdigten, weil zu wenig erforschten Einfluss auf die 
Kunstbewegung in Byzanz und in der westlichen Kirche geübt hat. Denn 
es dürfte wohl richtig sein, dass der syrische Rabulas-Codex zu Florenz 
von 586 die älteste Darstellung der Cherubim enthalte. Hiemit war den 
anderen Gebilden orientalischer symbolreicherPhantasie, den Seraphim, den 
Thiergestalten bei Daniel, der apokalyptischen Fauna das Thor eröffnet. 
Von da an erscheinen die vier Evangelistensymbole zu Hunderttausenden 
in der christlichen Kunst bis heute, auch die Engelsgestalten mit Flügeln, 
die übrigens schon um das Jahr 400 in Ravenna und seit Sixtus lll. 
in Rom (4.35 Mosaiken im Triumphbogen in S. Maria maggiore) so 
dargestellt wurden. Nun die Flligelgestalten (abgesehen von den nur als 
Decoration dienenden antiken Eroten oder Puttis) einmal in die christ- 
liche Kunst eingeführt waren, konnten als Weiterbildung, auch histo- 
rische menschliche Wesen mit Flügeln gezeichnet werden; so z. B. der 
heil. Johannes der Täufer (gemäß Matth., n, ro, der den Malachias 
anführt 3, i: Ich sende meinen Engel [Boten] vor mir her); ja in der 
westlichen Kirche erscheinen seit dem Ende des stark symbolisirenden 
Mittelalters auch der heil. Thomas von Aquino (der wEngelu der Schule) 
und der heil. Vincentius Ferrerius  1419) mit Flügeln. 
Die byzantinische kirchliche Kunst blieb innerhalb obiger Personifi- 
cationen und der apokalyptischen phantastischen Naturgeschichte stehen, 
ich rechne dazu natürlicherweise die Gestalten der Ezechiefschen Visionen 
und die Seraphim. Aber den Sirenen, Centauren, Chimären, Amphis- 
bänen wird man nicht, oder höchstens in vereinzelten Exemplaren") 
(angeregt durch die griechische Uebersetzung des Jesaias, Xlll. 21, 22) 
') Sieh: den großen Artikel von Ungar in Ersch und Gruberk Encyklophdie nGrie- 
Chilüh: Kunsll, l, 460 und öfter, und Le Blanl, Les Sarcophnges de la Gaule, lnlro- 
duclion ll. Quast und One, l, S. m4. 
") Z. B. auf dem Jüngsten Gerichte zu Salamis in der Kirche der Panagia Phäne- 
romeni, wo aber diese Thiere kaum allegurisch zu deuten sind (Mnlerbuch vom Berge 
Alhos, übers. von Schäfer S. 270), sondern eine wirkliche Fauna darstellen sollen.
	        
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