BEDINGUNGEN, ANLAGE UND AUSSTAT
TUNG DES MODERNEN LANDHAUSES
D as moderne Landhaus ist ein Kind unserer Zeit, und seine Entstehung hängt mit
den sozialen Umbildungen zusammen, die unsere Wohnverhältnisse in den letzten
fünfzig Jahren durchgemacht haben. Man könnte sagen, daß das Landhaus ein Er
zeugnis der Stadtkultur sei. Der Drang in die Stadt ist einer der auffallendsten Züge
des letzten Jahrhunderts gewesen. Der Städter überwiegt im Volksbild allmählich
den Landbewohner, seine Empfindungs-, seine Denkungsweise wird die allgemeine. Mit
dem Leben in der Stadt stellt sich aber auch die Folge jener ungesund gesteigerten
Lebensbedürfnisse ein, die die enge Zusammenscharung anregender Elemente und der
gehobene geschäftliche Austausch mit sich bringen. Der Städter wird überreizt, nervös,
er fängt an, an Leib und Seele zu kranken.
Hier entspringt das Bedürfnis nach dem modernen Landhause. Man verlangt
Ruhe, ländliche Umgebung, gesunde Luft. Man will dem Lärm, dem überhandnehmenden
Gesellschaftsgetriebe entgehen. Man will ein mehr persönliches Leben führen. Und
noch ein anderer Wunsch taucht auf: man will in seinen eigenen vier Pfählen wohnen.
Man hat genug von dem Wechsel des Mietwohnungswesens, das zwar das stete Bewußt
sein gewährt, nicht gebunden zu sein, dafür aber auch nie zur Ruhe und Vertiefung
gelangen läßt.
Alles das drängt den Städter hinaus aufs Land. Mit vermehrter Liebe zur
Natur geht er hinaus, mit jenem Heißhunger, den die lange Entbehrung erzeugt hat.
Seine Stellung zur Natur ist eine neue und ganz andere als die desjenigen Menschen,
der nie das Land verlassen hat. Der Städter kehrt zur Natur zurück, er genießt nun
ihre Schönheiten bewußt. Den Bauern beeinflussen sie nur unbewußt, sie äußern sich
höchstens in negativem Sinne, wenn ihn in der Ferne das Heimweh ergreift.
In den letzten Jahrzehnten hat sich in allen Ländern eine Flucht aus der Stadt
bemerkbar gemacht, deren Einsetzen und deren Intensität je nach der wirtschaftlichen
Entwicklung der La: Aer verschieden war. Am frühesten fing sie wohl in England an, sie
ist heute dort, man könnte sagen, organisiert und so allgemein, daß es das Verlangen jedes
Stadtbewohners ist, auf irgend eine Weise, sei es durch ständiges Leben in einem Vor
stadthause, sei es durch Unterhaltung eines Sommer- und Ferienhauses im fernen Lande,
mit der Natur in Verbindung zu treten. In Deutschland stehen wir erst am Beginn
einer allgemeinen Bewegung, der Stadt zu entfliehen, und diese Bewegung hat sich
bisher fast ausschließlich darin geäußert, daß die städtische Etagenwohnung zugunsten
eines Vororthauses verlassen wird. Sommer- und Ferienhäuser sind noch eine große
Ausnahme. Wenn aber nicht alle Anzeichen trügen, wird sich dieser Zug aufs Land
in der nächsten Zeit noch ungemein verstärken. Der Widerspruch gegen das Wohnen
in der Etage wächst in den breitesten Schichten der Großstadtbevölkerung. Rings um
die Großstädte bildet sich ein Gürtel von landhausmäßig bebauten Ansiedlungen. Es
herrscht regste Bautätigkeit, und jedes Jahr sieht die Gründung neuer „Terrain-
geseilschaften“, die sich die Anlage solcher Ansiedlungen zur Aufgabe machen. Man
Muthasius, Landhaus
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