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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VIII (1893 / 12)

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rohen Sinnlichkeit und des Eigenwillens, um eine Menschenseele in jener 
Scene von Chartres dargestellt. Das eitle Mädchen mit dem offenen Haar 
wird dem Sieger zufallen. "Der Knabe auf dem Rücken des Centaursa 
wird richtig mit Springer als ein Nachbild irgend einer Antike, viel- 
leicht einer Gemme oder eines Bildes, gedeutet werden dürfen. Auf- 
fallend ist es jedenfalls, dass der Centaur hier beim Abschießen des 
Pfeiles nicht nach rückwärts, sondern nach vorwärts den Oberleib ge- 
richtet hat. Auf den Bildern der Kalender, auch auf dem persischen 
Spiegel, welcher in Hammers Fundgruben abgebildet ist, haben die 
Schützen (Centauren) die Stellung nach rückwärts, wie sonst gewöhnlich 
auf den Abbildungen in unseren mittelalterlichen Bildern. Ueberhaupt 
haben die auf orientalischen Stoßen und Geräthen oft wiederkehrenden 
Bilder der vier Elemente, deren eine Abbildung sich bei Bock, litur- 
gische Gewänder, I., Taf. lll, ad p. 38, linder, sowie die Zodiakenbilder, 
die sich bis in unsere Tage in den Bauernkalendern erhalten haben, 
Einfluss auf die Sculptur und ihre Gestalten; aber die immer wieder 
nach dem Westen gebrachten orientalischen Waaren haben auch Einfluss 
.auf die Weiterentwicklung der Typen selber geübt. Das Auffallendste 
unter diesen Gebilden ist das Einhorn, das freilich bis zu seiner End- 
gestaltung als Jagd auf das Einhorn durch den Engel und Flucht des 
Thieres in den Schoß der Jungfrau"), eine eingehende Behandlung ver- 
dient, bei welcher nicht vergessen werden dürfte, was Karabacek (Susand- 
schird, S. 14.4) über das chinesische Thier Khi-lin sagt. Es ist eine phan- 
tastische Kleiderbestie, scheinbar annectirenswerth für die neubabylonische 
(das ist aber eben die Phantastik der Antike) Zoologie; nichtsdestoweniger 
hat es aber seinen Ursprung in China und wurde von da in den Thier- 
kreis der mohammedanischen Gewandstolle übertragen (mindestens vor der 
Mitte des 11. .lahrh.). Es kniet mit den Vorderfüßen, ist ein menschen- 
freundliches Thier, das den Leib vom Hirschen, den Schweif vom Ochsen 
hat und nur ein Horn trägt. Es begrüßt mit einer Verbeugung den 
Regierungsanfang eines guten Fürsten. Mehr brauche ich doch für die Weiter- 
bildung der Einhorngeschichte von den Septuaginta an bis in's 15. Jahrh. 
nicht zu sagen. Es wäre lockend, von diesem Gesichtspunkte aus mehrere 
solcher phantastischen Gebilde zu behandeln"). Aber die Menge dieses 
StoEes lässt sich in den Rahmen eines Vortrages, selbst wenn er in etwas 
erweiterter Form der Oeüfentlichkeit: übergeben wird, nicht zusammen- 
pressen: denn noch im Mittelalter trat schließlich eine Uebersättigung mit 
solchen Bildern, ja selbst eine Ueberreizung der Phantasie und Ueber- 
") Gobelin in Grafenegg bei Krems von 1537. - Vergl. Katholik t88a, a. Heft, 
412 (die Jagd des Einhorns). Ueber den Ursprung der Vorstellung vom Einhorn 
siehe Schrader, Sitzungsber. der Berl. Akad. der Wissensch. 1392, S. ;73-58t. 
') Vergl. auch Salzer, Die Sinnbilder _und Beiworte Mariens in der deutschen 
Litteratur und lat. Hymnenpoesie des Mittelalters. Linz 1893, S. 44 fg., wo gute Litte. 
raturangeben, und S. 1:3, 125 u. 524.
	        
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