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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 6)

das Kleid von selbst, oh nun nach malerischer oder plastischer Richtung, 
zum nangemessenem Schmuck des menschlichen Körpers, kann aber 
ebenso folgerichtig zur Verunstaltung desselben beitragen. Der Mensch 
allein hat unter allen Geschöpfen die Freiheit der Wahl auch seiner 
Kleidung gegenüber, die er gut oder schlecht wählen kann, die aber 
schon dadurch auf eine höhere Stufe gerückt erscheint. Im Gegensatz zur 
schützenden Hülle einer Knospe, dem fleischigen oder stachligen Kleid um 
den Fruchtkern, Federkleid und Wollregime in der Thierwelt, ob dauernd 
oder zeitweilig von der Natur souverän verliehen; alle diese Beklei- 
dungen folgen nur den Regeln stets wiederkehrender, freilich auch leben- 
diger Ordnung und sind darum schön, trotzdem die Natur über den Reiz 
der Mode erhaben ist. 
Der ideale Werth der menschlichen Kleidung wird es uns also 
begreiflich erscheinen lassen, dass auch höhere Ideen wie das Bewusstsein 
eines ganzen Volkes, eines besonderen Berufes, das Bedürfniss socialer 
Ordnung, ja sogar über das Natürliche hinausgreifende Wirklichkeiten 
wie die Religion, eine Beziehung, ja einen Ausdruck in der menschlichen 
Kleidung gesucht haben, ihren Dienst und ihre Formen beanspruchen 
und bestimmen. Und je höher, wichtiger solche Ideen sind und je mehr 
sie sich eingelebt haben, umsoweniger werden Willkürlichkeiten, Ein- 
flüsse der Mode und Zufälligkeiten vorherrschen können. So bildeten sich 
in ihrer reichen Abwechslung dennoch stetige Nationalcostüme, die 
Trachten einzelner Stände und Berufszweige, und schon die Bezeichnung 
Uniform also v-Einförmigesi- ist ein Racheact der ausgeschlossenen Mode. 
Wie aber, dürfen wir wohl fragen, hat sich bei der kirchlich- 
officiellen Kleidung das Entwicklungsgesetz zur Freiheit des Einzelnen 
oder einer bestimmten Zeit unter Einflussnahme der berufenen Autorität 
verhalten? Wie haben auf diesem Gebiete Ordnung und Leben das Schöne 
hervorgebracht und seine Form bestimmt? Die Allgemeinheit einer großen 
Idee stellt sich uns doch greifbar dar, wenn wir den Missionar in der 
Tropenwelt mit denselben bedeutungsvollen Paramenten am improvisirten 
Altare sehen, wie sie der Seelsorger in der Heimat trägt. Und wenn es 
die Symbolik allein nicht ist, die diesem Kleide seine Formen gab, dann 
sind wir wohl berechtigt, für das Parament und seine Geschichte uns 
auch wissenschaftlich und kunsthistorisch zu interessiren. 
Unsere einleitenden Worte mögen das Verständniss dafür anbahnen, 
dass die Schrift den Ursprung der Kleidung auf den Confiict der natür- 
lichen mit der übernatürlichen Ordnung zurückführt. Aus Gottes Hand 
empfangen die ersten Menschen ihre ausreichender-e Kleidung zugleich 
mit der Hinweisung verbunden, dass ein symbolisches Blutopfer der Natur 
erforderlich sei, um dem Menschen das schützende Thierfell zu geben. 
Damit ist zugleich ein allgemein religiöser Charakter dem Kleide 
als solchem zugesprochen und wir würden kaum auf die Idee verfallen, 
noch die autorative Fixirung eines solchen höheren Werthes zu suchen,
	        
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