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zu Tage fördert, die mit der gleichzeitigen Cultur in gar keinen vernünf-
tigen Zusammenhang zu bringen sind, ragt mit manchem seiner Gebilde
ohne Zweifel aus jenen Anfangsstadien der Cultur in geschichtliche Perioden
herein. Aus dem Bedürfniss, Uebel aller Art abzuwehren, erwächst also schon
auf den frühesten Culturstufen für den Schmuck sowohl formell als
inhaltlich eine ganz besondere Bereicherung. Aber nicht allein Kampf
und Erhaltungstrieb werden zu wesentlichen Factoren in der Entwicklung
des Schmuckes, auch die friedlichen Beziehungen der Völker zu einander
sind der Schmuckentwicklung außerordentlich günstig, indem durch Aus-
tausch von Rohmaterialien, Kunstformen und Techniken unausgesetzt
neue Bereicherungen stattfinden.
Wie weit manche Techniken schon auf frühesten Culturstufen ge-
trieben werden, zeigt z. B. das Flechtwerlr, das auf Neu-Guinea herge-
stellt wird und dessen zierliche Combinationen im dortigen Schmuck viel-
fach Verwendung finden, und ebenso wird das Schnitzen, Graviren,
Färben, Poliren, Einbrennen schon auf den primitiven Culturstufen ge-
übt, von den zahlreichen Erfindungen nicht zu sprechen, die bereits in
vorhistorische Zeit fallen. - Unter ihrem Einflusse greift namentlich
eine interessante und oft hochbcdeutsanie Uebertragung der Form des
ursprünglichen Naturproductes auf fremdartiges Material Platz. S0 wird
z. B. aus der Beere, dem Sarnenkerne, den abgeschnittenen Gras- und
Rohrstengeln eine nach solchem Vorbilde geformte künstliche Perle, aus
der wirklichen Muschel eine aus Gold, aus dem ursprünglichen wirklichen
Thierkopf, dessen Nachbildung in Holz, Thon, Knochen u. s. w. Ein
sehr bedeutendes Moment für die Schmuckentwicklung auf primitiven Cul-
turstufen ist ferner das der socialen Differenzirung. Es tritt in Kraft,
sobald einschneidende Classenunterschiede in einem Volke entstanden
sind. Solche Unterschiede werden ganz besonders durch den Krieg her-
beigeführt, wenn der Sieg der einen Partei nicht mit der Vernichtung
oder Vertreibung, sondern mit der Unterjochung der anderen endigt. In
diesem Falle stehen zwei Schmucksysteme nebeneinander; der Schmuck
der Sieger, der nunmehrigen Herren, und der der Besiegten, der Sclaven.
Sclavenschrnuck und Herrenschmuck werden zunächst keine Verbindung
miteinander eingehen, vielmehr wird der eine eine ehrende, der andere
eine demüthigende Bedeutung gewinnen, wodurch ein gegenseitiges Ver-
schmelzen ausgeschlossen ist. Im weiteren Verlaufe werden sich aber
zwischen Herrenschmuck und Sclavenschmuck Mittelstufen ausbilden,
jene sich allmälig mehrenden Fälle bezeichnend, in denen durch Gunst
oder Verdienst Sclaven in höhere gesellschaftliche Ränge erhoben
werden. Der neue Schmuck wird Elemente beider Gattungen aufweisen,
und die geringere oder weiter gehendere Reception des Herrenschmuckes
wird die verschiedenen Rangstufen deutlich zum Ausdruck bringen.
Nicht geringen Einfluss auf die Weiterbildung primitiven
Schmuckes wird endlich das Eindringen religiöser Elemente in den-