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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XI (1896 / 3)

 
Dieser Umstand steigert das Streben nach Schmuck auf das Höchste 
und dehnt es auf die weitesten Kreise aus; daher bereits in primitiven 
Culturen ein außerordentlicher Reichthum an Schmuck vorhanden ist. 
Die Thatsache, dass der Wunsch, zu gefallen, sich so schnell mit dem 
Schmückungstriebe verbindet, hat zu der Auffassung geführt, die Gefall- 
sucht sei die erste und unmittelbare Ursache der Entstehung des Schmuckes, 
und der Mann, der dem Weibe gefallen wolle, sei ihr Schöpfer. 
Diese Anschauung wurde durch den Hinweis auf bestimmte Er- 
scheinungen in der Thierwelt scheinbar erhärtet. Man meinte, dass, wie 
das Männchen im Werben um die Gunst des Weibchens durch ein 
größeres Ausmaß von Schönheit unterstützt werde, ebenso wäre es beim 
Menschen, wo erfahrungsgemäß der Mann sich ursprünglich weitaus 
üppiger schmückt als das Weib. Man vergaß, dass man es hier nur mit 
angeborener Schönheit zu thun hat, dass das Thier sich nie mit 
ufremden Federn" schmückt, dass bei den Thieren kein kunstschöpferischer 
Vorgang, kein selbständiges Eingreifen überhaupt vorhanden ist. 
Die künstlerische Bethätigung ist aber beim menschlichen Schmuck 
das Entscheidende. Mag dann die Gefallsucht immerhin an der weiteren 
Entwicklung des Schmuckes wesentlichen Antheil haben, und diese ihrer- 
seits durch geschlechtliche Momente eine bedeutende Steigerung erfahren. 
- Wenn der Mann unter primitiven Culturen sich reicher schmückt als 
das Weib, so muss nicht nothwendigerweise das Werben des Mannes 
um die Gunst des Weibes die Ursache sein. Es erklärt sich dies in ge- 
nügender Weise aus dem Präponderiren des Mannes überhaupt, der, wie 
nach jeder Richtung, so auch bezüglich des Schrnuckes eine bevorzugte 
Stellung in Anspruch nimmt. 
Um im Urtheile über die Entstehung des Schmuckes nicht irre zu 
werden, ist es nothwendig, dessen untrennbaren und vou allem Anfange 
an vorhandenen Zusammenhang mit der Verzierungskunst im Allgemeinen, 
auf den wir gleich Anfangs hingewiesen haben, nie aus dem Auge zu 
verlieren. Schmuck und Ornament sind Geschwister, und so wenig das 
Ornament in den Beziehungen der Geschlechter zu einander seine Wurzel 
hat, so wenig sind sie auch der Ursprung des Schmuckes. 
Aehnlich wie mit dem Einflüsse der Beziehungen der Geschlechter 
zu einander auf die Schmuckentwicklung verhält es sich mit einer Reihe 
anderer Motive, die zuweilen als letzte Entstehungsursache dieser oder 
jener Schmuckart angesehen werden, und zwar hauptsächlich in der Ab- 
sicht, der Annahme eines allgemein giltigen Grundes auszuweichen. 
S0 hat man aus der medicinischen Bedeutung, die manche Schmuck- 
gattungen bei primitiven Jägerstämmen gewonnen haben, wie z. B. ge- 
wisse Bemalungen, die als Schutz gegen Insectenstiche dienen, geschlossen, 
dass in dieser Bedeutung auch ihre Entstehungsursache liegen müsse. 
Bei anderen wären religiöse Anschauungen maßgebend gewesen, 
und wieder andere wären aus der Absicht hervorgegangen, die persön-
	        
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