Diese Ansicht ist aber jetzt vollständig widerlegt, und auf Grundlage
einer im Jahre 188g von Paul Seidel publicirten Abhandlung ') sei im
Folgenden das Leben und Wirken des richtigen Erfinders der Schab-
kunst in Kürze geschildert.
Es ist Ludwig von Siegen, nach dem Stammschlosse Sechten
im kölnischen Gebiete auch zu Sechten genannt, welcher während der
Anwesenheit seines Vaters in Holland aus dessen zweiter Ehe mit der
Spanierin De Perez zu Utrecht 1609 geboren wurde. Im Jahre 1620
wird der alte von Siegen, welcher als Lehenspliichtiger dem Landgrafen
von Hessen nahe stand, Rath und Oberhofmeister des Rittercollegiums
zu Cassel, und in dieser Anstalt wurde nun auch sein Sohn Ludwig bis
1626 erzogen. Nachdem derselbe sodann am Isenburgischen und fürstlich
Zweibrückischen Hofe Dienste geleistet hatte, scheint er es in Hessen
selbst bis zum Capitän gebracht zu haben und wird von der verwitweten
Landgräfin Amalia Elisabeth im Jahre 1639 zum Kammerjunker ihres
Sohnes, des späteren Wilhelm Vl., ernannt. Aber nach weniger als zwei
Jahren, im Juni 164i, macht er sich auf und davon nach Amsterdam,
ohne dass der Grund seiner plötzlichen Abreise zunächst bekannt ge-
worden wäre. Nichtsdestoweniger herrscht die nächste Zeit sogar ein
ziemlich lebhafter brieflicher Verkehr zwischen ihm und der Landgrätin
Amalia, zumeist auf künstlerische Pläne bezüglich, mit denen sich Ludwig
von Siegen in seinem neuen Wohnorte fast ausschließlich beschäftigte.
Er malte nach früher gemachten Skizzen die Bildnisse der Landgräfin
und ihres Sohnes; er will eine große Darstellung des pompösen Leichen-
begängnisses des Landgrafen Wilhelm V., die er auf 12 Regalbogen
gezeichnet hatte, auf Kupferplatten vorätzen, damit sie dann um so
getreuer vom Stecher ausgeführt werden können, und- er sendet noch
beständig Zeichnungen verschiedener Art nach Cassel, nach denen sich
der junge Prinz auch wohne stets gegenwärtigen underweyser- üben solle.
Dazu war er schon in Cassel und jetzt wieder in Amsterdam als Mo-
delleur für Medaillons thätig, und in der Sammlung des Prinzen Alexander
von Hessen-Darmstadt wird noch eine goldene Medaille mit dem Bild-
nisse der alten Landgrälin und einer symbolischen Darstellung als eine
unzweifelhafte Arbeit von Ludwig von Siegen aufbewahrt.
Im März 1642 bittet er um weitere Anweisung des bisher bezogenen
Gehaltes, damit er seine Schulden zahlen könne; er habe eben keine
anderen Arbeiten als für die Landgräfin, und in dem theuren Amsterdam
mangle es ihm oft an dem Nöthigsten. Die Landgräfin lässt ihm x50 hollän-
dische Gulden schicken, zugleich aber schreiben, dass er sich ihretwegen
nicht in dem theuren Amsterdam aufzuhalten brauche. Der etwas kühlere
Ton des Briefes lässt sich vielleicht daraus erklären, dass jetzt erst der
wahre Grund von Siegeifs Huchtartiger Reise nach Amsterdam am hessi-
') Jahrbuch der kgl. Preuß. Kunstnmmlungon, X. Bd., Berlin 1889.