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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XIII (1878 / 158)

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Sinne ist zugleich eine Bildung des Geistes; denn es ist, wie ein alter 
Philosoph sagt, nicht das Auge, welches sieht, sondern der Geist, der 
durch das Auge sieht. Bei der gegebenen Frage, bei der Einführung einer 
gewerblichen Arbeitsschule in der Volksschule handelt es sich aber nicht 
um eine allgemeine Erziehungsfrage, sondern um Befriedigung eines spe- 
ciellen Bedürfnisses jenes grossen Theiles der Bevölkerung, welcher auf 
Erwerb angewiesen ist, durch die Schulen irgend welche Befriedigung sucht, 
aber nicht findet. Das Kind, das im Gewerbe, der Technik, oder der 
Kunst seinen Erwerb suchen muss, soll so frühzeitig als möglich jene 
Fertigkeiten erwerben, die es später für seinen Lebensberuf braucht. 
ln früheren Zeiten war ihm das möglich, gegenwärtig wird es dieser 
Möglichkeit beraubt, zum Theil weil die Schulpflicht zu lange dauert und 
zum Theil deswegen, weil in der Volksschule in der Form, in welcher 
sie gegenwärtig organisirt ist, kein Raum für eine ernsthafte Arbeitsschule 
ist. Wie frühzeitig die Knaben in früheren Jahrhunderten zum Gewerbe er- 
zogen worden sind, weiss Jeder, der die Geschichte des Zunft- und Gewerbe- 
wesens kennt; die Erziehung zum Kunstgewerbe und zur Kunst macht hierin 
keine Ausnahme. Und da es sich in dem vorliegenden Falle um kunstge- 
werbliche Fachschulen und um Kunstgewerbe handelt, so dürfte es passend 
sein, einige Beispiele aus diesen Kreisen hier anzuführen. In dem wLibro 
dell' Arteu des Cennino Cennini vom Jahre 1437 wird die normale 
Lehrzeit für einen Jungen, der sich der Kunst widmen soll, auf 13 Jahre 
angegeben. Und was verstand man damals unter der Kunst, in wenigen 
Wortemgesagt: das ganze Gebiet unserer heutigen Kunstgewerbe, des 
Vergolders, des Stuccators u. s. f. Ueberall, wo wir ganz bestimmte 
Nachrichten haben, wird uns erzählt, dass der Junge schon sehr früh, bei 
Signorelli z. B. wird gesagt "da piccininon, angefangen hat, sein Ge- 
werbe zu lernen. Kunsthandwerker und Künstler haben ihre Fertigkeit 
von Jugend auf geübt; sie waren daher im 17.-18. Lebensjahre vollständig 
Herren ihrer Technik und in Folge dessen auch leistungs- und erwerbs- 
fähig. Alle Arbeiter aus früheren Zeiten, die wir kennen, zeigen, dass die 
arbeitsfähige junge Bevölkerung auch der Fertigkeiten vollständig Herr 
gewesen ist. Das Talent ist eine Gabe des Himmels; aber die Fertigkeit 
und Arbeitstüchtigkeit kann anerzogen werden und muss in jungen Jahren 
erworben werden und kann nicht erst beginnen nach dem vollendeten 
14. Lebensjahre. ' 
Wenn daher "in der Volksschule eine Arbeitsschule eingeführt wird, 
und zwar nach Massgabe der localen Bedürfnisse, so muss vorausgesetzt 
werden 1. dass in der Volksschule die Reform des Zeichenunterrichtes 
durchgeführt wird, 2. dass dem Arbeitsunterrichte die nöthige Zeit ge- 
gönnt wird, um die für das Gewerbe nöthige Fertigkeit wirklich zu er- 
werben, und dass der Unterricht mit Ernst betrieben wird und nicht als 
eine Art von Erholung. Es ist das weibliche Geschlecht ebenso sehr zu 
berücksichtigen, wie das männliche; in vielen Gegenden. ist es für indu-
	        
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