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Sinne ist zugleich eine Bildung des Geistes; denn es ist, wie ein alter
Philosoph sagt, nicht das Auge, welches sieht, sondern der Geist, der
durch das Auge sieht. Bei der gegebenen Frage, bei der Einführung einer
gewerblichen Arbeitsschule in der Volksschule handelt es sich aber nicht
um eine allgemeine Erziehungsfrage, sondern um Befriedigung eines spe-
ciellen Bedürfnisses jenes grossen Theiles der Bevölkerung, welcher auf
Erwerb angewiesen ist, durch die Schulen irgend welche Befriedigung sucht,
aber nicht findet. Das Kind, das im Gewerbe, der Technik, oder der
Kunst seinen Erwerb suchen muss, soll so frühzeitig als möglich jene
Fertigkeiten erwerben, die es später für seinen Lebensberuf braucht.
ln früheren Zeiten war ihm das möglich, gegenwärtig wird es dieser
Möglichkeit beraubt, zum Theil weil die Schulpflicht zu lange dauert und
zum Theil deswegen, weil in der Volksschule in der Form, in welcher
sie gegenwärtig organisirt ist, kein Raum für eine ernsthafte Arbeitsschule
ist. Wie frühzeitig die Knaben in früheren Jahrhunderten zum Gewerbe er-
zogen worden sind, weiss Jeder, der die Geschichte des Zunft- und Gewerbe-
wesens kennt; die Erziehung zum Kunstgewerbe und zur Kunst macht hierin
keine Ausnahme. Und da es sich in dem vorliegenden Falle um kunstge-
werbliche Fachschulen und um Kunstgewerbe handelt, so dürfte es passend
sein, einige Beispiele aus diesen Kreisen hier anzuführen. In dem wLibro
dell' Arteu des Cennino Cennini vom Jahre 1437 wird die normale
Lehrzeit für einen Jungen, der sich der Kunst widmen soll, auf 13 Jahre
angegeben. Und was verstand man damals unter der Kunst, in wenigen
Wortemgesagt: das ganze Gebiet unserer heutigen Kunstgewerbe, des
Vergolders, des Stuccators u. s. f. Ueberall, wo wir ganz bestimmte
Nachrichten haben, wird uns erzählt, dass der Junge schon sehr früh, bei
Signorelli z. B. wird gesagt "da piccininon, angefangen hat, sein Ge-
werbe zu lernen. Kunsthandwerker und Künstler haben ihre Fertigkeit
von Jugend auf geübt; sie waren daher im 17.-18. Lebensjahre vollständig
Herren ihrer Technik und in Folge dessen auch leistungs- und erwerbs-
fähig. Alle Arbeiter aus früheren Zeiten, die wir kennen, zeigen, dass die
arbeitsfähige junge Bevölkerung auch der Fertigkeiten vollständig Herr
gewesen ist. Das Talent ist eine Gabe des Himmels; aber die Fertigkeit
und Arbeitstüchtigkeit kann anerzogen werden und muss in jungen Jahren
erworben werden und kann nicht erst beginnen nach dem vollendeten
14. Lebensjahre. '
Wenn daher "in der Volksschule eine Arbeitsschule eingeführt wird,
und zwar nach Massgabe der localen Bedürfnisse, so muss vorausgesetzt
werden 1. dass in der Volksschule die Reform des Zeichenunterrichtes
durchgeführt wird, 2. dass dem Arbeitsunterrichte die nöthige Zeit ge-
gönnt wird, um die für das Gewerbe nöthige Fertigkeit wirklich zu er-
werben, und dass der Unterricht mit Ernst betrieben wird und nicht als
eine Art von Erholung. Es ist das weibliche Geschlecht ebenso sehr zu
berücksichtigen, wie das männliche; in vielen Gegenden. ist es für indu-