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noch in dem reichhaltigen Schatze der Basilica von San Marco in Venedig
aufbewahrt werden. Wir waren nicht wenig überrascht, in dem Schatze
von S. Marco - Dank der in Bergkrystall geschnitzten kutischen In-
schritten -- den Ursprung und die Quelle zu entdecken, von woher na-
mentlich im X. und XI. Jahrhundert die in Bergkrystall geschnitzten Ge-
fasse als kostbare Seltenheiten, wahrscheinlich auf Handelswegen, in den
Besitz des Abendlandes gekommen sind. Es bewahrt nämlich der Schatz
von S. Marco mehrere umpulzle oder nmullze, in Bergkrystall geschnitzt in
jenen zierlichen Formen, wie sie der orientalischen und zwar der sarace-
nischen Kunst eigen sind. Sowohl der Fussrand dieser prachtvollen Kry-
sntllgefasse als auch der Ausgussrand derselben ist mit nnch trefflich er-
haltenen kritischen Inschriften fast an jour gehalten verziert, die unserer
Vermuthung nach wahrscheinlich Sprüche aus dem Koran enthalten. Es
würde für die Alterthumsforschung von grnssein Interesse scin, wenn es
befähigten Orientalisten in der nächsten Zeit gelange, die Lesung dieser
kufischen Inschritten endgiltig festzustellen.
Wir waren nicht wenig erfreut, an dem goldenen Ambo Kaisers
Heinrich II. im Aachener Münster ebenfalls zwei kostbar geschnitzte Kry-
stallgefassc vorzufinden, deren ornamentale Einzelheiten, analog den Ver-
zierungen der Krystallgefasse zu Venedig, für die Industrie in jenen Län-
dern kennzeichnend sind, in welchen auch die ebengedachten Krystall-
gefasse von Venedig Entstehung gefunden haben. Ob dieselben von sara-
cenischen Industriellen in Sicilien hergestellt worden sind, oder aber in mau-
rischen Künstlern des südlichen Spaniens Entstehung gefunden haben, oder
aber 0h dieselben Aegypten und Kleinasien angehören, dies zu bestimmen
überlassen wir hier der weiteren Forschung. Nur auf einen Punct wollen
wir in dem vorliegenden kurzen Berichte aufmerksam machen, dass bereits
unter der Regierung Kaisers Lothar I. (reg. von 841 bis 855), wie es
den Anschein gewinnt, in Deutschland die Glyptik in Bergkrytall von sehr
befahigter Künstlerhand mit grosser Geschicklichkeit geübt und gepiiegt
wurde, wie das die beifolgende Gemme des Siegelringes Kaisers Lothar I. in
natürlicher Grösse beweist, welche sich an jenem
prachtvollen, in Gold, Email und Filigran gearbei-
teten Altarkreuze betindet, welche im_ Aachener
Schatze den Namen „Das Lothar-Kreuz" führt.
Die Inschritt, welche hinsichtlich der Stylisi-
rung der Buchstaben und ihres Contextcs dm-ch-
aus für die Regierungszeit des Karolingers Lo-
thar bezeichnend ist, lautet, wie folgt: 1- XPE
ADIVVA HLOTHARIVM REG. i:
Als Parallele zu dieser prachtvollen Siegel-
gemme Lothafs I. fanden wir im vorigen Jahre
im britischen Museum zu London ein zweites