Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde,
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
16. Jahrgang. 15. August 1924. Nr. 16.
Erinnerungen eines Bißtiotßeßars.
Mitgeteilt von Dr. Ferdinand Scherber (Wien.)
(Schluß). *
Der Amtsschimmel hat manchmal ganz sonderbare
Grillen ... Da lieb mich einmal ein großer ausländischer
Verleger durch einen Vertrauensmann wissen, daß er
willens sei, unserer Bibliothek seinen ganzen umfassenden
Verlag zum Geschenke zu machen. Herrlich! Aber die
Sache hatte noch ein Häkchen, nämlich, es galt ein
Knopfloch, das Ordenskolik oder dergleichen hatte, zu
heilen. Du lieber Gott, gewisse Orden flogen immer so
in der Luft herum und wer geschickt war im Haschen,
konnte immerzu einige erwischen, ln diesem Falle
mußte natürlich der Weg durch die oberste uns Vor
gesetzte Behörde führen. Ich trat selbst den Kanossa
gang an und mußte ihn öfter wiederholen. Ich fand
den stärksten Widerstand. Man hielt mir alle möglichen
„Prinzipien" entgegen, die selbstredend nur aus Prinzip
angewendet wurden, obwohl sich niemand darum sonst
gekümmert hatte. Unter der Devise „Principiis obsta"
nahm ich den erbitterten Kampf auf. Endlich nach
wochenlangen Verhandlungen konnte ich im Prinzip
über das Prinzip triumphieren: man war im Prinzip
nicht mehr gegen meinen Vorschlag. Aber nur was,
d. h. welchen Orden? Es gab Orden — fast hätte ich
gesagt in verschiedenen Preislagen — jedenfalls in
verschiedenem Werte. Endlich fand man eine Lösung.
Man nannte einen Orden, den man damals treuen
Kanzleidienern (die es in jenen Zeiten noch gab) für
ihre Seßhaftigkeit verlieh. Darauf erklärte ich, daß man
einen solchen Orden einem bedeutenden Kaufmanne,
noch dazu einem Ausländer, nicht geben könne und
schlug einen etwas höheren Orden vor. Unmöglich.
Wenige Tage nachher ließ mich ein Geheim- und
Hofrat zu sich bitten. Es entspann sich ungefähr fol
gender Dialog:
Er: „Sie haben für den Y den X Orden in An
regung gebracht?"
Ich: „Jawohl, Herr Geheim- und Hofrat".
Er: „Herr . . . welchen inneren Wert hat das
Geschenk des Y.?“
Ich: „Der innere Wert ist wohl schwer zu ermitteln,
am allerschwersten in Geld auszudrücken, vielleicht
kann ich so approximativ den Betrag von 10.000 Talern
nennen.“
Er. „Nun sehen Sie, der Orden, den Sie in Anregung
bringen, hat einen Goldwert von etwa 2000 Talern. Den
*) Siehe Nr. 15 der „Internationalen Sammler-Zeitung“.
müssen Sie doch von den 10.000 in Abzug bringen,
verbleiben als reines Geschenk 8000. Finden Sie hiefür
den X Orden nicht zu hoch?“
Ich glaube, ich habe damals ein verzweifelt törichtes
Gesicht gemacht. Verzweifelt bemühte ich mich darzu
legen, daß der Verleger den Orden ja nicht erhalte, um
ihn zu verkaufen, daß überhaupt bei einem Orden ein
ganz anderer, als sein wahrer materieller Wert maß
gebend sei und daß dieser nur bei den höchsten Aus
zeichnungen entsprechend steige. Vergebens. Es blieb
bei dieser eigentümlichen Konklusion, die dann erst
nach Jahren zu überwinden war.
Wieder ein anderes Stückchen. Auf meinen anti
quarischen Streifzügen entdeckte ich weit draußen in
der Stadt in einer kleinen versteckten Gasse einen
noch viel versteckteren Antiquariatsladen. Ich war
neugierig, was da aufzuspüren war. Nun, nicht viel,
Geschmack der Vorstadt. Nach längerem, durch einen
gemütlichen Disput — dies ist oft ein nötiger Kunstgriff
— unterstütztem Herumkramen entdeckte ich doch
etwas, was mich reizte. Da war eine ziemlich umfassende
Sammlung von Gassenhauern und Bänkelliedern, ver
mutlich aus dem Besitz einer kleinbürgerlichen Familie
erworben, deren Großvater ein Freund solcher Volks
lieder war. Solche Literatur stirbt gewöhnlich nach der
Epoche ab, in der sie herrschte. Die Exemplare werden
verworfen, zerrissen, zerstört und nach hundert Jahren
ist selten auch nur ein Stück davon übrig. Doch ist
diese Tages- oder Nachtliteratur einmal für den Kultur-,
Literatur- und Musikhistoriker wertvoll. Gibt sie doch
sozusagen einen Querschnitt durch den ästhetischen
und moralischen Geschmack dieser Zeit. Also, ich wollte
die Sammlung haben. Erste Bedingung, daß man dies
dem Verkäufer nicht zeigen darf. Ich stellte mich sehr
kühl, blätterte scheinbar enttäuscht hin und her und
sagte dann, daß das zwar heutzutage gar keinen Wert
besitze, daß ich mich indes aus ganz privaten Gründen
dafür interessierte,, wenn es sehr billig zu haben wäre.
Und es war wirklich billig. Nun nachdem der Preis
abgemacht war, legitimierte ich mich als Bibliothekar
und forderte den Antiquar auf, die ganze Sammlung
morgen in die Bibliothek zu schicken samt Rechnung etc.
Da wurde er sehr aufgeregt — Antiquare sind häufig
Sonderlinge — und versicherte mich, daß er das
niemals tun werde. Da müsse man Rechnung, Quittung
schreiben, in der Kanzlei eine Stunde antichambrieren,