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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe V (1870 / 57)

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Auf die Schicksals, die du Gesetz selbst und die bei seiner jedesmaligsn Bsrathung 
in Fluss gsrathsnen Anstrengungen der Künstler gehabt haben, brauchen wir hier nicht 
einzugehen, weil dies, sowie d.i's Betrachtungen über die veränderten Bedlngungrn der ge- 
werblichen Kunst, durch zahlreiche Erfindungen der Wisssnschsh. und Technik, als Photo- 
graphie, Farbendruck, Gslvsnoplsstik mit Kupfer, Silber, Gold, Eisen, Bronze, die Ver- 
kleinerungs- und Vsrgrüsssrungsmsschine iiir den plastischen Künstler, Stiicltmetall- 
Formung etc. dem Leser d. Bl. gelluüg sein dilrfmn. ,Die Wissenschaft hat gewisser- 
nrassen ihr Eigenthnm von der Kunst zurückgefordert und drängt sie immer mehr und 
mehr in ihr eigenes Gebiet suriick, in das der künstlerischen Erlindung. Mehr und mehr 
liefert der Künstler nur noch das Ihnuscript, wie dsr Schrißstellsr; - dieVervielfältigung 
nehmen ihm Anders ab." ,_ 
Aber diese erleichterte Producüon hat auch ein neues Cnlturstadinm zur Folge. 
Frilhsr hiess es: Alles für Einen, wenn er nur ordentlich Geld hatte - heut beisst es: 
Alles für Alle, auch wenn sie kein Geld haben. 
Der Vorl führt nun den Leser auf die grosss Anstellung von 1851 in London. 
Das ganze gebildete Europa strömte dort zusammen; man sah und staunte, überlegte und 
verglich, man schwieg und schämte sich. Was sah man dort? Dass von Europa Frank- 
reich um weitesten voraus war, - dass aber alle gänzlich geschlagen waren ürrch 
die sogenannten Barbaren, Indier, Perser, Marokkaner, Jspauesen u. s. w. Wie eine bunt- 
scheckrge Nsrrenjaoks nahm sich die Kunst Europale neben der ebsnmlssigen Weisheit 
des Orients aus. Und doch ist es erklhrlich, dass sich Gegenstände schön entwickeln 
mussten, deren Zahl und Gestalt sich seit Jahrhunderten kaum änderte, denn, nachdem 
der Teppich des Psrsers, der Shawl des llsrokkauers lange schon gut uud zweck- 
naüssig gewesen, hatte die Kunst noch Zeit, ihn auch schön zu machen. Denn zur Kunst 
gehört Besinnung, Zeit, je Müssiggsng. Deshalb hst Amerika auch noch keine eilgens 
Kunst. Und in Europa. brachte jeder Tag neue Erfindungen, die erprobt sein wo ten, 
jeder Tag neue Stode, die verarbeitet werden sollten. l'n demVorwiirts der Wissenschaßsn 
musste die Kunst über den Haufen geworfen werden, ds sie nicht folgen konnte, - aber 
man schämte sich doch. Und seit 1851 datirt das unwiderstehliche Bewusstsein, 
dass die künstlerische Leistung nicht hinter der wissenschaftlichen zurückbleiben dürfe. 
„Aber was ßr eine gewaltige Aufgabe halte man zu lössnl" ruß hier der Ver- 
fasser. Und mit Iahhnftigkeit schildert er uns, wie jeder Zwe' der Industrie neue Stolie 
zu bewlltigsn hatte, wie Eisenbahn und Telegra h, wie die rchitektur von Glas und 
Eisen, die neue Brücken-Baukunst tausend neue ufgabene, dem Fassungsvermögen nicht 
vertraut, schufen, dem es noch heut schwer wird, festzuhalten, dass dünne Säulen grosse 
Steinmussen tragen, dass Glas fast genug ist, um darauf gehen zu. können. 
Und dazu der Wechsel der Mode! 
Woher hatten aber in Europa die Franzosen die Uebennacht? Sie hatten gute 
Schulen und gute Gesetze. Nicht ein Titelchen Kunstvermögen ging verloren, jede Kraft 
fand ihren Platz. Seit 1737 durch Privilegien, seit 1793 durch Gesetz geschützt, war die 
künstlerische Erfindung in Frankreich nie gehemmt. Sie konnte sich geben und gab sich 
ganz. Die ersten, die sich 1851 diese Lection zu Herzen nahmen, waren die Eng- 
länder, welche durch Gründung des South Ksnsington-Mussums eine Cenn-alstelle 
iiir Vorbilder und Unterricht schsdtan. In dem kurzen Zeitraum von 16 Jahren war 
Frankreich nahezu erreicht und South Kensiugtcu hatte 1869 mit seinen Töchterschulen 
und Zweigvereiuen 80.000 Schüler. Ein lehrreiches Beispiel frir diejenigen, welche ver- 
meinen, den künstlerischen Geist einer Nation beurtheilen zu können, ohne die Gründe 
zu untersuchen, welche die augenblickliche Kunstsrscheiuung hervorrufen! 
Was in Deutsohlsud geschehen ist, ist hskmnt. Die Künstler [hörten auf, fiir 
das Gewerbe zu arbeiten, da ihre Modelle nicht bezahlt wurden - die Fabrikanten stahlen 
fremde Modelle und die schöpferischen Kriifts wunderten aus, nach England und Frank- 
reich, wn d.is Werkmeister gut bezahlt wurden, und wo die eigentlichen Erfinder in den 
Fabriken in einer hohen Bruchzahl Deutsche sind; - ja noch schlimmer, - sie brauchen 
seit den neuesten Verträgen mit Frankreich nicht einmal mehr zu wandern. In der Heimat 
produeiren sie fdr das Ausland, denn in Dcrtechlsnd werden den Künstlern keine Rechte 
gewährt, in Frankreich aber den Künstlern nicht nur Frankreichs sondern auch Deutsch- 
lnnds die Rechte eines Franzosen. Wir haben uns fremder Hilfe beraubt, können dieselbe 
aber den Franzosen bringen! 
Der also beschränkte Wirkungskreis der deutschen Künstler hatte zur Folge, dass 
ll-pr Usberg-sng vorn Handwerker zum Künstler fehlte. Der Kiinstlsnhrud erzeugt sich aus 
dem höhem Biirgerstaud und dem Adel. Die gesellschaftliche Stellung der Kiinsüer ge- 
wsnn, aber die Kunst verlor. Statt von unten herauf, kam man von oben herab in die 
Kunst. Hierdurch wurde die Kluft gross, Kunst und Handwerk verstanden einander nicht 
mehr - es erzeugten sich zwei Symptome von trauriger Berühmtheit, - der Künstler-
	        
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