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der alphabetischen Reihenfolge der Schlagwörter stehen, so hätte man ja lieber gleich die
Buchstabenfolge durchführen können. Uebrigeus ist es auch ganz unvermeidlich, dass
der Verfasser eine logische Scheidung und Classitieirung der Gegenstände und eine allsei-
tig zu rechtfertigende Eintheilung in die verschiedenen Schemata nicht durchführen konnte;
so ist, um ein Beispiel anzufübren, gar nicht abzusehen. warum man „Reliquaire" unter
Schema Mobilier (1. Band) und „Aiguierü (Aquarunnile) im zweiten Bande bei der Gold-
schmiedekunst suchen soll. Soviel über die äussere Eintheilung, die bei ihrer Willkührlich-
keit dem Werke mehr den Charakter einer Sammlung wissenschaftlicher Abhandlungen
als eine streng rnaterienweise geordneten ,Wörterbuchee" gibt.
Viollet-le-Duc ist unter den gegenwärtig Lebenden wohl einer der gründlichsten
Kenner der äussern Lebensformen des Mittelalters; nicht so bald hat ein Mann wie er so
ansschliesslich dem Studium der erhaltenen Altertbümer dieser Epoche sich gewidmet,
und dass er sein Werk auf Frankreich allein beschränkt, ist eine Einseitigkeit, die aber
wiederum nur der Gründlichkeit zu Gute kommt. Der erste Band brachte ein reichhaltiges
Verzeichniss alles dessen, was man „Möhel" nennenkann, kirchliche und weltliche Zimmer-
einrichtung, wobei natürlich die erstere Gattung durch ihre nähere Beziehung zur Kunst
und, nebenbei auch durch die grössere Häufigkeit ihrer erhaltenen Repräsentanten, vor-
wiegt. Als auf ein besonders interessantes Capitel machen wir auf jenes aufmerksam,
welches das Privatleben und die Einrichtung der Zimmerinterieurs des Mittelalters behan-
delt. Die beigegebenen reconstruirten Ansichten sind freilich vielleicht nicht Frei von
etwas Phantasie in ihrer Composition, aber doch immerhin stylvoll und geschickt arrangirt.
Das erste Heft des zweiten Bandes behandelt die Geriithschaften (Utensiles) d. h. unter
dieser Subsumimng eine Reihe von Dingen, von denen im ersten Bande zufällig nicht die
Rede war, aber jeder würde irren, der darin das gesainmte oder auch blos kirchliche
charakteristische eigentliche „Geriithe" des Mittelalters vollständig aufgeführt zu finden
glaubte. Das zweite Heft des zweiten Bandes bringt eine längere Abhandlung über „Gold-
schmiedekunst" (237 Seiten), darin viele trefdiche Bemerkungen und viele gut und scharf
beobachtete Thatsacben. Ueberhaupt ist Viollet-le-Dnc derjenige unter seinen vielen fran-
zösischen Collegen, die diesen Zweig der Kunstgeschichte behandeln, der am besten und
griindlichsten "sehen" kann.
Der dritte Band ist der Costümkunde des Mittelalters gewidmet, die er unter den
Capiteln ,.,Kleiduug", „persönlicher Schmuck" und "Toilette" abhandeln wird. Die zwei
vorliegenden Hefte gehen in der ersten dieser drei Abhandlungen bis zum Schlagworte
Deuil. So viel auch über diesen Gegenstand schon und namentlich in neuerer Zeit geschrie-
ben worden ist, so hat doch in einigen Partien der Costümgeschichte noch gar vieles eine
genügende Erörterung und Darstellung nicht gefunden. Ganz besonders gilt dies von dem
Mittelalter. So bringt denn auch Viollet-le-Duds Werk uns viele neue und überaus schütz-
bare Notizen, von denen wir nur beispielweise die vortredliche Abhandlung über die Sen-
delbinde (unter Cbaperon) hervorheben wollen. Noch nirgend haben mir diese vielgestaltige,
0B ganz sonderbar geformte charakteristische Kopfbedeckung des I4. und 15. Jahrhunderte:
in ihren verschiedenen Auwendungsarten in so klarer Weise reconstruirt gefunden wie hier.
Uobarhaupt ist es ein grosser Vortheil der alphabetischen Anordnung der Trachten-
geschichte, dass man die Eutwickelungsphasen und Wandlungen jedes einzelnen Costiim-
stückes sofort und mit einem Male übersehen kann, statt, wie in den historisch angaordeteu
Costiimwerken, sie aus langen geschichtlichen Entwickelungen herauslösen zu müssen.
Hätte Violet-le-Duc dieses lobenswerthe System durch das ganze Werk hindurch
consequeut verfolgt, so hätte er ein dem wissenschaftlichen und praktischen Gebrauch
unentbehrliches und überaus werthvelles Buch geliefert, dessen bei einer so grossen und.
vielgegliederten Arbeit mit unterlaufende Mängel und Irrthümer man um so lieber verzie-
hen hätte, da es das erste in seiner Art gewesen wäre.
J. Bonssard, eludes sur l'Arl funeraire moderne. Paris, chez J. Baudry, 1870.
Folie.
Der Architekt J. Boussard hat es unternommen, die Grabdenkmale der jüngeren
Architektenschule Frankreichs in einem Werke herauszugeben, das, 200 Tafeln in Folie
enthaltend, Ansichten und Constructionen von Grabdenkmälern bringen soll. Der Gedanke
wäre an sich ein glücklicher und würde in den Kreisen, die sieh fir solche Monumente
interessiren, Anklang finden, wenn er entsprechend ausgeführt würde. Als Vorbilder kann
man aber diese Ausgabe der Grabdenkmiiler nicht betrachten; sie sind meist in dem s. g.
neugriechischen Stil entworfen, der auf einer nichts weniger als glücklichen Verquickung
althellenischer Motive und moderner Constructionsweisen beruht. Das Werk ist, wie 0'061!
erwihnt, auf 200 Tafeln berechnet, die in 20 Lieferungen erscheinen sollen.