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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1872 / 76)

Allem diejenigen des 18. Jahrhunderts, deren Princip nicht im Sopha, 
sondern im Lehn- und Armsessel zum klarsten Ausdruck gekommen. 
Das Rococo, unbekümmert um die Anforderungen des Materials und die 
geschweifte Linie bedingungslos als Schönheitslinie betrachtend, unterwarf 
dieser Linie auch das Sitzgeräth, einerlei, ob es die structiven oder blos 
umamentalen Theile, ob es die Arbeit des Tischlers oder des Tapeziers 
traf. Damit liess sich das Möbel schweifen und biegen, rein nach Bau 
und Bequemlichkeit des menschlichen Körpers, gab aber dabei alle solide 
und vernünftige Structur auf. 
In die neue, mehr und mehr auf die Grundprincipien der Renais- 
sance zurückgehende Wohnungseinrichtung wollen nun diese Rococomöbel 
nicht passen, andrerseits fürchtet man, gibt man allein der Structur nach. 
Unbequemlichkeit und Steife. Die Aufgabe der modernen Möbelfabrication 
in ihrer besseren Richtung geht also dahin, das Eine, eine solide und 
vernünftige Structur, wieder zu erreichen, ohne das Andere, die grösst- 
mögliche Bequemlichkeit, zu opfern. Von diesem Bestreben, beide Dinge 
mit einander zu vereinigen, zeugen ziemlich alle Sitzmöbel. Weil sie aber 
inmitten dieses Bestrebens sind, ohne noch das Ziel entschieden gefunden zu 
haben, so machen sie im Ganzen einen ziemlich bunten, vielartigen Eindruck. 
Einige der arusgestellterf Sitzmöbel schliessen sich strenger an die 
Renaissance an und verhalten sich mehr imitirend dazu. Das gilt wohl 
am meisten von den Sesseln und der doppelten Sitzbank in dem reichen 
Zimmer, welches Schmidt G: Sugg in Art des 16. Jahrhunderts ein- 
gerichtet haben. Ebenso gehören die Sessel im grünen Zimmer von Haas 
(entworfen von Storch) entschieden der Renaissance an, aber nicht der 
des 16., sondern der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Und das ist ein 
glücklicher Grill", denn die Sessel dieser Zeit, wie sie uns namentlich in 
der niederländischen Kunst entgegentreten, waren mobiler und bequemer 
geworden. Jenen Standpunkt einer freieren und moderneren Bearbeitung 
der Renaissance vertreten vor allem - und mitunter in sehr glücklicher 
NVeise - die Sessel von Schönthaler. Die Eigenthümlichkeit der Mo- 
dernisirtmg beruht vor allem mit auf der Bildung der Rückenlehne, welche 
nach rückwärts hinausgebogen wird. Auch hierfür linden sich bereits 
Anklänge und Motive im 16. Jahrhundert. Derselben Richtung gehört 
die Speisezimmergarnitur von Wichers (nach Zeichnung von Hansen) 
an. Von etwas mehr absonderlicher Art, und doch in derselben Richtung 
liegend, sind die Sessel von Achleitner. Ebenso gehört einiges in der 
Sesselausstellung von Schuh dieser Richtung an, obwohl auch mit sehr 
freier Behandlung und zum Theil mit eigcnthümlicher Hinzutügung pla_ 
Stischer Figuren, über deren Stellung und Anwendung sich wohl allerlei 
Sagen liesse. Eine dieser sonst musterhafr ausgeführten Arbeiten vertritt 
die Zeit des Empire, ein anderes Stück, ein kleiner, mit weissem Atlas 
überzogener Phantasiesessel, dessen Rücklehne eine bemalte Fahne dar- 
stellt, ist entschieden eine Verirrung.
	        
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