Von den Industrien Wiens, bei welchen der Uebergang zur Kunstindustrie ganz be-
sonders wahrgenommen werden muss, bildet die gesammte Webwaarenindustrie
eine der grossten und bedeutsamsten. Vielfach ist dieselbe bereits zur Kunstindustrie ge-
worden; es soll dies aber in noch vollständigerer Weise geschehen, einerseits weil die
Frage nach Erzeugnissen der Kunsttveberei auf dem hiesigen Platze eine sehr reichliche
' ist, andererseits weil bei den hoch gestiegenen Arheitslohnen in Wien fernerhin nurnoch
die Fabrication von Artikeln mit einem höheren Arbeitswerthe gepflegt werden kann. Für
den erwähnten Zweck bedarf es aber der Verbreitung eines wohlgebildeten Geschmackes
und vervollkommnlter Kenntnisse der Theorie und Praxis der Weberei in den mannig-
fachen hier vertretenen Zweigen so wie der einschlägigen Waaren- und Maschinenkunde
unter _dem Gewerbe- und Arbeiterstande, wozu wieder ein systematischer Unterricht an
einer gut organisirten Webereischule das unerlässliche Mittel ist.
Die in Wien bestehende blfentliche Fachschule für Manufacturzeichnen und Weberei
ist der bezeichneten Aufgabe durchaus nicht gewachsen, da sie ungeachtet aller Tüchtig-
keit und Opferwilligkeit der beiden an ihr wirkenden Lehrer bei der Bescheidenheit des
Maßstabes, in dem sie angelegt ist, und der Mittel, die ihr zu Gebote stehen, nur eine
sehr begrenzte Thätigkeit entfalten kann. Es ist dazu vielmehr eine höhere Weberei-
scbule notzhwendig, wie sie verschiedene Stadte des Auslandes besitzen, eine Anstalt, die
ein oolnpletm, mit Rücksicht auf alle Bedürfnisse sorgfältig errichtetes Lehrsystem hat
und welcher vorzügliche Lehrkräfte, geeignete Räumlichkeiten, Lehrmittel, Maschinen und
Materialien in ausreichendem Masse zu Gebote stehen, damit sie eine gute Pßanzschule
nicht nur für hervorragend leistungsfähige Arbeite, sondern auch für tüchtige Werkmeister
und für Fachlehrer an Weberschulen sein kenne. Die Section halt sich überzeugt, dass
die Industriellen der betheiligten Facher gerne bereit sein würdet, zu den Kosten einer
solchen Schule beizutragen, da sie ia überhaupt zur Erhaltung von Fachschulen gesetzlich
verpdichtet sind; sie meint deshalb auch, dass das Ministerium ersucht werden sollte, der
Sache die verdiente Würdigung angedeihen zu lassen und zur Errichtung einer höheren
Webereischule in Wien durch die Zusicherung einer Subvention für die Einrichtung und
nächste Entwicklung die wirksame Initiative zu ergreifen. Den Lehrplan für diese Anstalt
in seinen Einzeinheiten festzustellen wird dann an der Zeit sein, wenn das Ministerium
seiner Zustimmung zur Errichtung der Schule durch Gewährung von Geldbeitragen Aus-
druck gegeben haben wird; vorläufig will die Section nur andeuten, dass der Unterricht
die früher genannten Facher und bei dem wesentlichen Zusammenhange zwischen der
Weberei und der Wehwaarenappretur auch die Letztere, mit steter Rücksichtnahme auf
die Neuerungen und Verbesserungen in künstlerischer und in technischer Beziehung, zu
umfassen hatte. Jedenfalls lassen es sowohl das Ansehen Wiens wie die Bedeutung der
Webwaarenindustrie, endlich der Umstand, dass die Schule höchst wahrscheinlich aus
allen Theilen der Monarchie besucht werden wird, als wünschenswerth erscheinen, die-
selbe zu einer Musteranstalt zu machen. '
Bis zu dem Zeitpunkte aber, in dem die höhere Webereischule in Wirksamkeit
treten wird, wäre alle mögliche Unterstützung den gegenwärtig bestehenden zwei Fach-
schulen für die Webereibranchen, nämlich der schon erwähnten Manufacturzeichen- und
Webereischule in Gumpeitdorf und der Fachschule der Posamentirergenossenschaft, ebenso
der Fachschule der Genossenschaft der Dnicker und Formstecher im Bezirke Sechshaus
zuzuwenden. Der Ersteren wurde eine Subvention sehr zu Statten kommen, weil sie da-
durch in die Lage gesetzt würde, auf die Anschaüiing der erforderlichen Werke, Materia-
lien, Muster, Vorlagen etc, eventuell auch auf eine Vermehrung oder bessere Honorirung
des behrpersonals und auf eine Erweiterung des Raumes Bedacht zu nehmen. Für die
Fachschuie der Posamentirergenossenschaft, welcher das Ministerium schon in diesem
Jahre eine Unterstützung bewilligte, ist eine fernere Subvention um so warmer zu befür-
worten, alsdiese Schule blos auf die Beiträge der Mitglieder einer minder zahlreichen
Corporation angewiesen ist und bisher schon recht befriedigende Erfolge geliefert hat.
Aehnliches gilt von der Fachschule der Genossenschaft der Drucker und Formstecher.
Von der Genossenschaft der Kleidermacher in Wien, welche bereits zwei Fach-
schulen gegründet hat und erhalt, wurde der Wunsch geaussert, es mögen ihr in Gemass-
heit des Landesgesetzes vom 26. Janner 1872 die Kosten für die Erhaltung jener Schulen
aus den für die Vorbereitungs- und gewerblichen Curse geleisteten Beitragen zurückver-
gütet werden. Da die Rückvergütung durch ein Gesetz zugesichert ist, so erblickt die
Section kein Hinderniss, welches dieser Rückerstattung unter den im Gesetze enthaltenen
Bedingungen entgegenstände, und sie kann somit nur befürworten, dass die Kammer dem
Ersuchen der Kleidermacher-Genossenschaft willfahre. Ein zweiter Wunsch derselben,
es möge der mittelst Erlasses des k. k. Ministeriums für Cultus und Unterricht zur Lega-
litlt gewerblicher Fachschulen vorgeschriebene confessionelle Religionsunteiricht gänzlich
aufgehoben oder wenigstens auf die Vorbereitungs- und die erste Classe der von der Ge-
nosaenschaft erhaltenen Fachschulen beschrankt werden, lasst sich ebenfalls nur als be-
rüdsichtiguttgawerth ansehen; denn erstens wideisrreitet es entschieden dem Wesen und