der eingreifendsten letzterer Art besteht wohl darin, dass so mancher Sache nicht die
rechte Zeit gelassen wird, um wissenschaftlich auszureifen, indem die Speculation sich
möglichst rasch des neuen und daher augenblicklich anregenden Thema's zu bemächtigen
sucht, um dem Publicum baldigst ein allgemeines Gericht davon vorsetzen zu können.
Es entsteht daraus eine oft recht schleuderhafte Bücherrnacherei, die gänzlich unfertige
und unausgewachsene Producte auf den Markt wirft, Arbeiten, die schon der nächste
Tag überholt und corrigirt, die aber doch für lange Zeit, weil solche umfassende Mono-
graphien über denselben Gegenstand nicht zu rasch nach einander erscheinen können,
auf der Tagesordnung stehen bleiben, immer wieder citirt, d. h. corrigirt und ergänzt
werden müssen, bis die Verlagshandlung den rechten Moment gekommen sieht, um
eine neue verbesserte Auflage herauszugeben.
Das hauptsächliche böse Beispiel in dieser Hinsicht hat der Vorgang Lübke's
gegeben, als er mit seiner Geschichte der deutschen Renaissance hervortrat, zu einer
Zeit, in einem Stadium der Forschung über diese Stylepoche, als man kaum angefangen
hatte, ihr ein wissenschaftliches lnteresse zuzuwenden. So spärlich die Arbeiten über
den Gegenstand damals also auch waren, wurden trotzdem in der Geschwindigkeit zwei
stattliche Bände fabricirt, aber sie entsprachen dem pomposen Titel auch folgerichtig.
Zwei Drittel des von Lübke in seine -Deutsche Renaissance: aufgenommenen Denkmäler-
vorrathes gehören nicht diesem Style, sondern bereits der Barocke an; ganze Provinzen
gehen leer aus oder sind höchst ungenügend und anderen gegenüber höchst ungleich-
artig bedacht etc. Es ist das ganz natürlich. Erst die folgenden Jahre und die Gegenwart
brachten fortwährend neues Einzelmaterial; Künstlergeschichte sowie Denkmälerkunde
erfuhren durch emsige Localforschung erst allmälig eingehendere Würdigung, aber selbst
damit sind wir zur Stunde noch lange nicht so weit, dass heute mit derselben Berech-
tigung an eine allgemeine Geschichte des deutschen Renaissancestyles gegangen werden
konnte, wie es etwa das reiche und mehr abgeschlossen vorliegende Material für eine
italienische gestatten würde.
Wir denken keineswegs, die beiden neuen Schriften über den Barock- und die
anderen Spätstyle mit den Unternehmungen Lübke's auf Ein Niveau zu stellen, denn
auf den ersten Blick wird man ja gewahr, dass es bei Weitem ernstere und Heißiger
gemachte Arbeiten sind; jedoch, wir können nicht umhin, die Besorgniss auszusprechen,
dass dasselbe: Zu früh! wohl auch ihnen gelten dürfte. Seit der ersten Anregung zur
Würdigung jener Kunstweisen im Jahre 1880 sind erst etwa seit drei Jahren Publica-
tionen und Untersuchungen über den Denkmälervorrath erschienen und zwar im Ganzen
noch nicht allzuviele. Selbst der Literatur der deutschen Renaissance gegenüber ist das
ein ganz ärmliches Substrat und daher noch geringere Berechtigung vorhanden, jetzt
schon generaliter über die gesammte Barocke zu handeln. Noch viel schlimmer aber
sieht es mit den vorhandenen Forschungen über die Künstlergeschichte besagter Zeit
aus. Hier ist Alles noch lückenhaft, dunkel, durch unkritische alte Literatur verballhornt,
die urkundliche Untersuchung beinahe Null. lch staune über den Muth der Herren!
lch darf ohne Unbescheidenheit behaupten, dass Niemand in Oesterreich auch nur an-
nähernd so eingehende Studien über Barocke und Rococo gemacht hat als ich, - tritt
aber der Versucher in Gestalt des Verlegers zu mir heran, um mich zur Abkochung
eines solchen allgemeinen Ragouts: nGeschichte des Barockstyles in Oesterreich: aufzu-
fordern, so wird ihm jedesmal die Antwort: sGeduldl das vermag heute weder ich noch
irgend Jemand in der Welt gut zu leistenlu Aber, auch wenn es sich nur um die
Barocke einer Provinz, einer Stadt handelte, so ist das bei so unfertigen Zuständen
noch nicht möglich, soll die Sache dauernden Werth besitzen. Ich halte es daher für
das richtigere Vorgehen, vorläufig erst in kleineren, einzelnen Untersuchungen vorzu-
arbeiten und StotT anzuhäufen; der Tag der Ernte, wenn wir nicht unreifes Korn ein-
heimsen wollen, liegt noch weit hinaus.
Die Unkenntniss der österreichischen Verhältnisse, welche, wenn irgendwo, bei
den Spätstylen zu dem hervorragendsten gezählt werden müssen, zeigt sich auch schon
in den ersten Leistungen. Wo Gurlitt z. B. (p. 8) die Benennungen der Stylepochen in
den einzelnen Ländern gibt, hat er keine Ahnung davon, dass man in Oesterreich genau
wie in Frankreich, und mit gleichem Rechte, die Nüancen präcise mit den Namen der
Regenten bezeichnet und also von einem Ferdinandeischen, einem Leopoldinischen, Caro-
linischen, Theresianischen und Josephinischen Style spricht. lm Uebrigen können wir
aus den vorliegenden zwei Lieferungen seines Werkes vorerst nur über das Capitel
Italien uns belehren. Was solches betrilft, macht jedoch die Arbeit - soweit eben auch
für dieses Land die noch ungenügende Forschung nicht hinderad in den Weg tritt -
einen sehr erfreulichen Eindruck. Die allgemeinen Erläuterungen, die Schilderungen des
culturbistorischen Rahmens für das Kunstwerk sind klar und schon geschrieben und,
soweit wir bisher sehen, zu unserer aufrichtigen Freude auch ohne jene hochmüthige
protestantische Dünkelhaftigkeit, welche selbst in der Barocke dem Katholicisrnus nur
Vorwürfe zu machen hat und erst in den Berliner Bauten die Krone auch dieser Kunstart