PABLO PICASSO
Vor wenigen Wochen schloß in Hamburg eine
der bedeutendsten Kunstausstellungen der letz-
ten Jahrzehnte ihre Pforten, die zum 7-}. Ge-
burtstag Pablo Picassos am 25. Oktober 1955
in München eröffnet wurde und dann in Küln
und schließlich in Hamburg für etliche Wo-
chen dem Publikum zugänglich war. In feiner
Auslese war mit über 250 Katalognummern ein
umfangreicher Überblick über das gesamte
Schaffen des umstrittensten Künstlers des
20. Jb. - Pablo Picasso - gegeben. Vornehm-
lich an Hand von Gemälden, jedoch auch mit
zahlreichen llandzcichnungen und Graphiken
sowie einer Reihe von Skulpturen und Kera-
miken wurde der künstlerische Werdegang, das
Vermögen und die Bedeutung des in Spanien
geborenen und fast ausschließlich in Frank-
reich tätigen Künstlers aufgezeigt.
Selten bietet sich dem Kunstfrcund eine ähn-
liche Gelegenheit. Ein Hauptgrund für das man-
gelnde Verständnis der modernen Kunst in
breiten, zum Teil sogar kunstinteressierten
Kreisen ist in dem Mangel an Möglichkeitm,
moderne Kunst überhaupt im Original sehen
zu können, zu suchen. Die meisten von dcnen,
die immer noch völlig negativ dem Kunstwnllen
des 20. Jh. gegenüberstehen, urteilen ohne
Kenntnis der Dinge. Werke der großen Meister
unseres Jahrhunderts sind zumindest in einer
breiten Überschau nur selten und dann nur kurz
zu sehen. Die große Picasso-Ausstellung in Mai-
land 1953 oder die umfangreiche Ausstellung
von Picasso-Graphiken in der Albertina in Wien
19-19 blieben höchst verdienstvolle und rühm-
liehe Ausnahmen.
Die Deutsche Wanderausstellung 1935[56 zeigt
instruktive Werk-e aus fast jeder Phase des
künstlerischen Schaffens Picassos. Die Anfänge
les Künstlers um die Jahrhundertwende stan-
ien unter dem Eindruck der Impressionisten
Jnd Toulous Lautrecs. Mit farbfreudiger Pa-
ette werden spritzig meist genrchafte Themen
;estaltet. Schon aber 1901 wird die Farbgebung
:intönig und der Künstler bevorzugt gleich-
Jlcibende Farbtöne. Er beschäftigt sich
illem mit sozialen Vorstellungen, seine Haupt-
hemcn sind die Wiedergabe der Armut, Not
xsw. (sogenannte blaue Periode 190l[03) und
lann Theaterszenen, Spektakel. Zigeuner usw.
sogenannte rosa Periode 1905).
Klach kurzer Berührung mit primitiver Kunst
1906fO7) ist die erste große und entwicklungs-
geschichtlich bedeutende Tat Picassos zu ver-
zeichnen: 1908 die Entdeckung des Kubismus.
)ft hört man über die Avantgardisten der mo-
lernen Kunst. ihr Ziel sei es, das Schönheits-
deal, das künstlerische Formempfinden und
egliches Kunstwullen zu zertrümmern. Sieht
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Gedanken zu der Deutschen Wanderausstellung 1955f56
man in einer solchen Formulierung lediglich
ein destruktives Prinzip, dessen Selbstzweck die
Zerstörung an sich ist, so ist sie auf Grund
unseres Überblickes über eine Entwicklung von
über einem halben Jahrhundert als falsch und
mißversttinden abzulehnen. Der bewußten Auf-
gabe und, wenn man will, Zerstörung der bis-
her geltenden Ausdrucksmittel liegt vielmehr
eine konstruktive, neue Wege weisende Leistung
zugrunde. Es galt einerseits, Gestaltungspro-
blcme zu lösen, die bisher noch nie gesehen
wurden, und andererseits, neue Ausdrucksmög-
lichkeiten für oft höchst sensibles Kunstemp-
finden zu schaffen, die den Betrachter direkt
ansprechen und nicht über den „Umweg" des
Gegenständlichen, das aus der natürlichen „Seh-
lirfahrung" gestaltet und durch dasselbe erfaßt
wird. Die deutsche Abstraktion im Spiitexpres-
sionismus (1910) und der französische Kubis-
mus (an der Spitze Braque und Picasso) sind
in dem bunten Reigen moderner Kunstströmun-
gen die beiden wichtigsten für das Werden und
die Entwicklung der Malerei unseres Jahrhun-
derts. Beide Gruppen vereint der methodische
Weg zur Lösung respektive Verwirklichung der
neuen Probleme und Möglichkeiten.
Die Aufgabe, die die Kubisten an die Malerei
stellten, war die Klarstellung der Dimensions-
diskrepanz bei der Wiedergabe körperlicher
Formen auf der Fläche. In der ersten Phase des
Kubismus wurden die Körper durch analyti-
sche Zerlegung iu ihre Farmteile gestaltet (ana-
lytischer Kubismus l9üßll2), in der zweiten
durch synthetische Aneinanderreihung der zer-
legten Einzelteile auf die Fläche (synthetischer
Kubismus 1912[ca.19l8) projiziert.
liür Picasso ist der Kubismus um 1921! erledigt.
Der überaus vielseitige dynamische Künstler
hat die Möglichkeiten dieser "Disziplin" durch-
dacht und erschöpft. In einer Reibenentwicklung
wurden seit dem Kubismus in nunmehr über
drei Jahrzehnten alle bis heute denkbar schei-
nenden Ausdrucksmittel der modernen Kunst
zumindestcns vorübergehend angewendet.
.,Naturalistisehe" Bestrebungen (1920f23) kom-
mcn dem Verständnis des noch ungeschulten
Betrachters entgegen, jedoch basieren die sagt.-
nannten neoklassischcn Werke der frühen Zwan-
zigerjahre durchaus auf den Errungenschaften
des Kubismus und nicht auf dem durch den
Kubismus überwundenen Gestaltungsprinzip
des 19. Jh. - Anklänge und Parallelen zum
Surrealismus sind in einigen Gemälden sowie
Zeicbnungsgruppen in den Zwanziger- und
Drcißigerjahren deutlich. Eine der eindrucks-
vollsten Stilrichtungen der Zwanzigerjahre ist
der sogenannte kurvilineare Kubismus, der in
seiner zarten, weichgescbwungenen Konturen-
LDSCHMIED
gebung leicht an den synthetischen Kubismus
anklingt. Meist werden Stilleben in harmoni-
scher, kontrastreicher Farbgebung gestaltet.
Farbcnfreudig, temperamentvoll sind die Drei-
ßigerjahrc. Zu Beginn finden wir weich model-
lierte Formen aus schwungvoll gezogenen Li-
nien. Das häufigste Thema sind schöne Frauen,
wobei Art und (irad der (iefühlshcziehung zwi-
schen Künstler und Modell unvermittelt aus
Farbe und Form sprechen. Ebenfalls sehr sen-
sibel sind die dramatischen Themen der spä-
teren Drcißigerjahre gehalten, wobei mit harter
Strichfiihrung und wilden Farben Verzweiflung,
Unlustgcfühle usw. zum Ausdruck gebracht
werden. Das Hauptwerk dieser Periode ist
„Gucrnic-a" (1937), die Wiedergabe eines spa-
nischen Ortes dieses Namens nach einem Bom-
bardement.
Seit den späteren Dreißigcrjahren häufen sich
die Bilder, die hinsichtlich des Gegenstandes
dem Betrachter die größten Schwierigkeiten ma-
chen. ln scheinbar planloscr Destruktion wird
der menschliche Körper bis zum ekelervegen-
den deformiert. Besonders während des zwei-
ten Weltkrieges liebt Picasso solche figurale
„Ncugestaltungen" der natürlichen Vorbilder.
Für Picasso bleibt die Kunst stets gegenständ-
lich. In seiner unübertroffenen Phantasie, gc-
schärft durch die Schule des Kubismus und
durch die Berührung mit dem Surrealismus, geht
er daran, die natürliche Form „umzuerfinden",
ohne brutale Aggressivität zu scheuen. Dabei
klingt trotz aller Gewalttätigkeit das zarte lyri-
sche "Element des Künstlers auch in solchen
Werken durch. Nach dem Kriege verliert sich
der aggressive Charakter, das „Natürliche" tritt
abermals in den Vordergrund, wird aber da und
dort zur Verdeutlichung des Ausdruckes und
zur Vertiefung der Wirkung übersteigert oder
vereinfacht.
Die unerhörte Vielseitigkeit Picassos, sein über-
ragendes Können und vor allem das „Echte"
seiner Kunst konnte auf der Deutschen Wan-
derausstellung jeder Unbefangcne und Unverge-
bildete mit ein wenig gutem Willen rasch er-
fassen. Es ist ein nicht hoch genug anzuerken-
nendes Verdienst der Ausstellungsleitung, durch
geschickte Auswahl der Objekte und durch die
Fülle des Gebotenen wirklich jedem, und zwar
auch den der modernen Kunst noch fremd
Gegenübcrstehenden zumindest mit einigen we-
nigen Ausstellungsstücken überrascht, gepackt
und überzeugt zu haben. Das war für viele der
erste schüchterne Schritt zum Verständnis der
Kunst Picassos und zum Verständnis der Mo-
dernen. - Fürwahr ein Ereignis größter Be-
deutung.
Josef Sollinger
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Dr. PETER BALDASS
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