DIE WIENER AUSSTELLUNGEN
ZUR ZEIT DER FESTWOCHEN
lJUNl
1956
PETER BALDASS
Ein buntes und in vieler Hinsicht ansprechen-
des Bild bot sich dem Kunstfreund im abgelau-
fenen Monat. Zahlreiche Sammlungen, staat-
liche, städtische und private Galerien bemühten
sich, zumindest eine Visitenkarte zu den Fest-
wochen abzugeben. Die Veranstalter waren
offensichtlich bemüht. etwas für sie Charak-
teristisches und zugleich möglichst breite Kreise
Interessierendes zu geben.
Zwei Gruppen heben sich rein äußerlich von-
einander ab. Gezeigt wurden Werke der alten
und der modernen Kunst, u. zw. Beispiele vom
I4. Jahrhundert bis in das Jahr 1956.
Zum sechstenmal seit ihrer Wiedereröffnung
nach dem Krieg veranstaltete die Akade m i e-
G a l e r i e eine Sonderausstellung. In den
Mittelpunkt waren drei Porträts von Rembrandt
(darunter zwei Leihgaben aus Innsbruck und
Salzburg) anläßlich seines 350. Geburtstages
gestellt. Mögen diese und ein kleines Kabinett
mit lehrreichen Bildchen des Treoento und
Quattrocento für viele Anlaß gewesen sein. die
mit Liebe gepflegte kleine Sammlung der Wic-
ner Akademie wieder zu besuchen. Leider mußte
bereits inzwischen die gesamte Galerie wegen
Bauarbeiten auf unbestimmte Zeit, für viele
Monate, geschlossen werden.
Der Akzent der Wiener Ausstellungen im Ka-
pitel Alte-Kunst lag auf dem I8. Jh. Die Al-
b e r t i n a zeigte in allen ihren Räumen Zeich-
nungen und Graphiken der großen österreichi-
schen Maler des 18. Immer noch ist Be-
deutung und Größe dieser Künstler viel zu
wenig erkannt - sicher wohl vor allem des-
halb, weil der Schwerpunkt der Leistung im
Fresko und im großen Altarbild liegt. In Repro-
duktionen, aber auch in Ausstellungen ist das
volle Wesen der österreichischen Bamckmaler
weder einzufangen noch zu erfassen.
Besonders hervorzuheben ist die kleine, aber
reizvolle Ausstellung von B üh n c n b i l d e n t -
würfen des I8. Jh. in der Akademie-Biblio-
thek. Bombastische Barockdekorationen der
Galli Bibiena - eine, lange in Wien arbeitende
oberitalienische Künstlerfamilie. (l. Hälfte des
I8. Jh.) - zeigten weite Ausflüge in reale und
irreale Räume. Der größte österreichische Ma-
ler des I8. Jh., Franz Anton Maulpertsch, wird
in viele seiner Deckenfresken diese phantasie-
vollen Architekturprospekte aufnehmen und
weiterbauen. Die Bühnendekorationen Josef
Platzer's (2. Hälfte des 18. Jh.) stechen durch
ihre gepflegte Technik und zum Teil proto-
romantischen Motiven besonders in die Augen.
Noch klingt vielfach das Pathos des Spätbarocks
durch, aber schon zeigen sich die ersten Vor-
boten des Romantisehen Klassizismus.
Einen instruktiven Überblick gewährte die Peter
Krafft-Ausstellung im Oberen Belvedere.
Krafft ist eine markante Erscheinung im Wiener
Biedermeier, der den oft einfältigen Geist des
neu erstarkten Bürgertums geschickt einzufan-
gen versteht, in seiner noch ganz aus dem Klas-
sizismus kommenden Kunst. g Wir müssen
besonders daran erinnert werden, daß dieser
Maler erst vor 100 Jahren gestorben ist.
Dem österreichischen Jubilar des Jahres 7
Wolfgang Amadeus Mozart ä waren zwei
Ausstellungen im Gebäudekomplex der llofburg
gewidmet. Schade, daß es dem British Council
nicht möglich war, die zum Teil interessanten
Beispiele, die - allerdings meist nur sehr in-
direkt i auf den Aufenthalt Mozarts in Eng-
land Bezug nehmen, im Original zu zeigen.
Sehr erfreulich war im allgemeinen. was an
moderner Kunst zu sehen gewesen ist. Eine
ganze Reihe von Künstlern der verschiedenen
Richtungen wurden in instruktiver Auswahl und
fast durchwegs in besonders nettem und ge-
pflegtem Rahmen, zum Teil zum erstenmal,
dem Wiener Publikum vorgestellt.
Der Reigen begann mit einer kleinen Ausstel-
lung von Zeichnungen und Graphiken Oskar
Rune Brlndlsl
K o k o s c h k a's im Historischen bluscum der
Stadt Wien (Rathaus). Um den ,.Wilhclminen-
berg" (ein Hauptwerk der Zwanzigcrjzihre)
wurden etwa ein Dutzend erlesen schöne Blät-
ter der Frühzeit des Künstlers gezeigt. Die
spätsezessionistischen Graphiken und expressio-
nistischen Zeichnungen geben ein eindrucks-
volles Bild von der Kraft dieser höchst indi-
viduellen Erscheinung, die wie wenige moderne
Künstler keiner Schule angehört und auch in
keine Richtung wirklich eingeordnet werden
könnte. Klingt noch ganz zu Beginn (IOOSVIO)
Spätsezessionismus in etwas verspielter Note an,
zeigen sich in manchen Blättern vor 1914 ge-
wisse Zusammenhänge zu Schiele, so bleibt
Kokoschka doch stets eine Einzelerscheinung,
deren wirkliche Bedeutung - wie bei manchen
anderen deutschen Expressionisten - in der
Frühzeit liegt.
Drei junge Italiener zeigten Einzelausstellungeni.
Der Bedeutendste ist der Plastikcr Celo Per-
tot (geboren 192-!) (Österreichisches Museum
- altes Haus) ein Wotruba-Schüler, für den
das Material und dessen Bearbeitbarkeit von
größter Bedeutung ist. Vorwiegend wurde Me-
tallguß gezeigt. Die kleinen Statuetten in
Bronze, Blei und Silber zeigen deutlich ihre
Entstehungsart und die Beschaffenheit des ver-
lorenen Originals. 4 Der formende Duktus am
Nlodell bleibt am Gießling sichtbar. Auch die
Spuren des Gießcns selbst werden nicht zer-
stört. Grob wird der Anguß abgeschlagen oder
bleibt mitunter das gesnnte Gestänge über-
haupt erhalten. Pertot ist ein durchaus gegen-
ständlicher Künstler, den vor allem der mensch-
liche Akt interessiert. Das Naturvorbild wird
leicht vereinfacht und in materielle Relation
zum Stofflichen gebracht.
Die Kunst IZmilio Vcdova's (geboren 1919)
(Galerie Würthle) ist abstrakt. Ein paar außer-
ordentlich kultivierte Zeichnungen des 17jäh-
rigen zeigen bereits die Kraft und das Tem-
perament des individuellen Künstlers - es sind
Interieurs oberitalienischer Barockkirchen. Erst
nach dem Krieg wird er radikal. Die Thema-
tik ist schon bezeichnend, "Unruhe", „Aggres-
siv, „Vorstellung der Zeit". Die großen Öl-
gemälde sind wirklich durchgestaltet, doch
liegt der Schwerpunkt seines Könnens im Klein-
format. Nicht. daß er die großen Flächen nicht
bewältigt, aber nur das ..intime" Bild wirkt
überzeugend und packt unmittelbar.
Von Remo B r i n d i s i (Österreichisches Mu-
seum _ neues llaus) wurde zu viel gezeigt.
Viel weniger wäre mehr gewesen. Der Künstler
setzt sich etwas mit spatkubistischen Problemen
auseinander und hat durchaus eine interessante
Note. Einige Bilder fallen besonders auf. doch
wird im allgemeinen zu viel Gleichartiges ge-
zeigt, und das ermüdet und langweilt.
Erschütternd war die Ausstellung im Künstler-
haus. Wozu der hochtrabende Titel 7 nichts
als konventioneller Naturalismus. Zwei, drei
Künstler schienen sich abzuheben, aber der Be-
sucher hatte nicht die Kraft, sich einzusehen.
.,Geschaut und gestaltet!" 7 .,Gesehen und
gegangen!" A
Ebenfalls hoclitrabend waren die Titel der
Seze s sion Jxusstcllungcn ,.'l'hema und Kon-
trapunkt". F "t lächerlich war eine ,.Auswahl
für Mozart". Wozu das? llatte man doch wirk-
lich schöne Blätter von einigen der Größten des
20. Jh. zur Verfügung: Baumeister, Klee, Ma-
nessier, um nur einige namhaft zu machen. Es
war eine reine Freude, durch den rechten Sei-
tenraum der Sezession zu gehen. Im geschlosse-
nen Rahmen wären einem allerdings diese Blät-
ter lieber gewesen.
Hans F r o n i u s, einer der bedeutendsten Illu-
stratoren unserer Zeit. stellte in der Galerie
St. Stephan aus. Besonders ansprechend war die
David-Serie. Graphiken, die den Geist Dau-
mier's ins '20. Jh. übertragen oder an Rouauld
anklingen, ohne auch nur im entferntesten zu
plagieren oder zu imitieren. Eine wirklich er-
freuliche Erscheinung im kulturellen Leben
Österreichs.
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