und Verbote für neue Niederlassungen abzielte, endgültig zu
Ende und es erfolgte für viele Gewerbezweige die vollständige
Freigabe; andererseits wurde schließlich trotz mehrerer kaiser-
licher Verordnungen, die vor allem um die Zusammendrängung
großer Arbeitermassen im Gebiet von Wien und seinen Voror-
ten zu verhindern, nicht nur jede Neugründung innerhalb eines
Umkreises von zwei bis sechs Meilen von den Vororten an un-
tersagte, sondern überhaupt alle Industrieunternehmungen aus
Wien verdrängen wollte, was gerade die Seidenfabrikation mit
der tatsächlichen Vernichtung bedrohte, doch die Konzentration
gerade dieser Industrie in Wien zur Tatsache, teils durch nicht
genaue Befolgung teils durch baldige Aufhebung dieser Ver-
ordnungen. Damit war der Seidenweberei der Weg zur Indu-
strialisierung geöffnet.
Zwei weitere sehr wesentliche Tatsachen aber bewirkten erst
die Durchführung aller bereits gebotenen Möglichkeiten. Trotz
der großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die gerade das
zweite Jahrzehnt des 19. jh. erfüllten. und die im Jahr ides
Staatsbankrotts 1811 und dem Notjahr 1817 ihre schärfsten
Krisen erreichten, eröffnete diese Zeit der Seidenweberei doch
wieder ungeahnte Möglichkeiten. Durch den Erwerb der ober-
italienischen Seidengebiete stand nunmehr das beste Rohmaterial
in unbegrenzter Fülle zu Gebote. Mit einem Schlag war Öster-
reich zum größten Seidenproduzenten Europas geworden. Ein
Jahrzehnt zuvor war die entscheidende Erfindung für die ganze
weitere Entwicklung der Weberei geschehen. 1805 war nach
vielen ähnlich gerichteten Versuchen dem Franzosen jacquard
die Konstruktion des mechanischen Webstuhles, der die mühe-
volle und langwierige Arbeit des Ziehers ausschaltete, gelungen.
Zahlreiche Versuche und eigene Erfindungen hatten gerade in
Wien den Boden so gut vorbereitet, daß diese entscheidende
Neuerung sehr bald und in großem Umfang Eingang und Auf-
nahme fand. Damit hatte die Seidenweberei aus sich selbst den
wesentlichen Anstoß erhalten, der sie in die Lage versetzte, die
von außen gebotenen Möglichkeiten zur Ausbildung der neu-
zeitlichen Industrialisierung auch voll auszunützen. Auf völlig
neuer Grundlage war in den ersten beiden jahrzehnten des
19. jh. die Seidenweberei zum bedeutendsten Industriezweig
Österreichs geworden. Schon 1813 waren in Wien gegen 10.000
Menschen in der Seidenindustrie beschäftigt, der Wert der jähr-
lichen Erzeugnisse betrug in dieser Zeit allein bei der Firma
Mestrozzi bereits 1,S00.000 fl. Diese politisch und wirtschaft-
lich in so vielen Belangen äußerst schwierige Zeit brachte damit
die größte Blüte der Wiener Seidenweberei. Bis zur Mitte des
19. Jh. besaß Wien nach Lyon nicht nur die umfangreichste, son-
dem auch die bedeutendste Seidenerzeugung Europas. i
Den führenden großen Fabriken standen jetzt die Mittel und
Möglichkeiten zur Verfügung, um alle verschiedenartigsten Stoff-
arten in reichster Fülle zu erzeugen: Von Samten und schweren
Brokaten bis zu den zartesten Dünntüchern, vom glatten Taft
bis zu den reichsten vielfarbigen Blumenmustern. Die großfor-
mig dekorierten Stoffe für Wand- und Möbelbespannung treten
jetzt mehr zurück, dafür entfalten sich die modischen Kleider-
stoffe zu größter Fülle und besonderem Abwechslungsreichtum.
Dem raschen Modewechsel folgend, werden billigere und leich-
tere Stoffe bezorzugt, die in ihren hellen, meist buntfarbigen
Mustern immer wieder neue Motive und schier unerschöpfliche
Variationsmöglichkeiten bringen. Der Wunsch nach Neuem und
Abweehslungsvollem, der vor allem die Stoffe für die Damen-
moden beherrscht, regt hier die Phantasie der Entwerfer, wie
die Kunstfertigkeit der Ausführenden ständig an. Von lang-
florigen und gekräuselten Pelzimitationen, den sogenannten Fel-
pelstoffen, bis zu den hauchzarten Geweben der Umhängetücher
und des Hutschmuckes, von den pastellfatbigen Chineeblumen
auf hellgetöntem Taft bis zu den dezent und dunkelfarbig ge-
musterten Samten und Ripsen der Herrenwesten, entfaltet sich
der Naturalismus der Blumenmuster zu immer neuen Möglichl
keiten.
Diese naturalistischen Blumenmuster, die ihren Ausgang von den
an Ranken angeordneten Blumenbouquets der Louis XVI-Muster
nehmen, bestimmen immer stärker den Eindruck der Bieder-
rneierstoffe. Am Anfang stehen Muster, die vor allem in ihrem
Aufbau noch die Strenge und Klarheit der Zeichnung betonen.
Blattkränze und stilisierte Rosetten zeigen vor allem in den
Wand- und Möbelstoffen einen architektonischen Charakter,
während die Kleiderstoffe zuerst sehr dezente kleinteilige, oft
Ton in Ton gehaltene Muster bevorzugen. Vor allem gegen
1830 hin, werden diese Muster dann reicher und bunter; von
den einfachen Streifen- und Karomustern bis zu vielfarbigen Blu-
menmustern in lockerer Streublumenanordnung, alles zumeist
in hellen bunten Farben gehalten, zeigt sich nun ein äußerst
vielfältiges Bild in allen nur möglichen Stoffarten und den
verschiedenartigsten Effekten.
Schon um 1840 dringen auch in die Stoffmuster die Formen des
zweiten Rokokos ein, die mit ihrer meist dichtgedrängten Fülle
von Motiven den Grund fast völlig bedecken und ein unruhig
bewegtes Bild schaffen. Die reichen Muster der späten Bieder-
meierzeit werden nun mit zumeist aus dem Formenschatz des
Barock und Rokoko entlehnten Ornamenten verbunden. Auch
großformigc dekorative Stoffe nehmen jetzt wieder einen brei-
teren Raum ein. Wenn auch auf anderer Grundlage, so wird im
zweiten Rokoko doch noch einmal versucht, eine einheitliche
Dekoration für alle Bereiche zu schaffen und die gewisse Tren-
nung, die im Biedermeier vor allem zwischen strengen und zu-
rückhaltender gemustertcn Wanddekorationen und den Vielfal-
tigen bunten Kleiderstoffen wieder zu überbrücken. Diese Ab-
sicht, die sich wie in den Stoffen, so auch in allen anderen Be-
reichen des Kunstgewerbes dieser Zeit ausspricht, war nur für
kurze Zeit erfolgreich.
Nach der Mitte des 19. Jh. macht sich eine sehr grundlegende
Veränderung in steigendem Maße geltend. Entgegen der verein-
heitlichenden Tendenz der Vierzigerjahre, erfolgt nun im fort-
schreitenden Historismus ein Auseinanderfallen der verschiedenen
Bereiche in schärfster Art. Der eigentliche Historismus, der nun
vielfach zum reinen Kopieren alter Stoffe übergeht, bleibt auf
die dekorativen Stoffarten beschränkt. In den nun gerade wie-
der sehr vielfach verwendeten reichen Stoffen für Wand- und
Möbelbespannung und Draperien, werden vor allem die barocken
Muster immer wieder verwendet und auch im Bereich der Para-
mentenstoffc treten Muster aus den verschiedensten Stilen wie-
der auf. Die Kleidermode - im Biedermeier gerade der Haupt-
auftraggeber und Abnehmer der reich gemusterten Stoffe -
verwendet nun mehr und mehr einfarbige oder ganz einfach
gemusterte Stoffarten: Taft, Atlas, Rips und ähnliches werden
nun die bevorzugten Kleiderstoffe, die die Einfarbigkeit durch
reiche Dekoration mit Stickerei, Spitze oder Posamentrie er-
setzen. Darin spricht sich eine deutliche Scheidung aus, die ihre
Grundlage im Wesen des Historismus hat.
In derselben Zeit vollzieht sich auch ein grundlegender äußerer
Wandel in der Wiener Seidenweberei. Die Konzentration dieser
Industrie auf Wien nimmt mehr und mehr ab. Mit der fortschrei-
tenden Industrialisierung und der Entwicklung des Verkehrs-
wesens, erfolgt nun die Übersiedlung der großen Fabriken von
Wien weg in die Provinz.
Die erste Hälfte des 19. jh. ist die Zeit der größten Blüte der
Seidenweberei in Wien. In diesen Jahrzehnten, in denen vor
allem im Biedermeier das Wiener Kunsthandwerk eine reiche
und fruchtbare Epoche erlebt, sind gerade für die Seidenweberei
besonders glückliche Voraussetzungen zusammengetroffen. Die
ausklingende Barocktradition und die eigentliche Biedermeier-
kunst als letzte selbständige Leistung vor dem Beginn des Hi-
storismus, die technischen Erfindungen und Neuerungen und die
großen Möglichkeiten, die durch die Erwerbung des lombardo-
venetischen Königreiches sich boten, bewirkten den künstlerisch
und wirtschaftlich raschen Aufstieg der Wiener Seidenindustrie
zu ihrer führendeniStellung in ganz Europa.