BÜHNENBILDENTWÜRFE
DES
ISJAHRHUNDERTS
WOLFRAM WACHA
stellt die Akademie der bildenden Künste im Kupferstich-
kztbinett als 12. Ausstellung aus ihren Sammlungen aus.
Die gezeigten Handzeichnungen, Aquarelle, Druckgraphiken
machen auf einen bedeutenden Abschnitt österreichischer Thea-
tergeschichte und europäischer Kulturgeschichte aufmerksam.
Sie zeigen ein lebendiges Bild jener glanzvollen, in freudiger
Lebensbejahung förmlich überquellender Epoche, in einer
gewissen Hinsicht vielleicht sogar ein unmittelbarercs, als es
uns heute Dichtung und Musik vermitteln können. Die Aus-
stellung ist ein besonders gelungener Beitrag zum Gedenkjahr
Mozarts, als welcher sie von der Akademie gedacht ist.
Die Raumbildgestaltung ist, nach einer fast zwei jahrhunderte
alten Entwicklung der Perspektive in der Renaissance bereits im
Hochbarock, mit dem großen Meister der Theaterausstattung und
Festgestaltung Ludovico Burnacini zu einer gewissen, nahezu
unübertreffbaren Vervollkommnung gelangt und überbietet
sich immer wieder selbst in ihrem Ringen um eine Loslösung vom
Gegenständlichen (diesem alten, bis in die heutige Zeit der
Moderne aktuellen Problem) mit seinen starren und gebundenen
Linien in einer grandiosen Prachtentfaltung, welche sich bis in
das Spätbarock hineinsteigert, um schließlich des öfteren das
Theater in erster Linie zu beherrschen und das Spiel als solches
zu einem lediglichen Vorwand der phantasiereichen Theater-
architekten dieser Epoche zurückgedrängt wird.
Serlios „Tiefenbühne" der Renaissance, mit ihrer schmalen Spiel-
fläche und dem unbegehbaren, fiktiven Bühnenraum entwickelt
sich im Barock zu einer wirklichen Tiefenbühne mit einem ge-
Abb. 1 Anlonlh Gulll - Biblunn. Anhlhklurdotnll
wissen Höchstmaß an Illusion. Die barocke Linicnbrcchung, mit
der Loslösung und Auflockerung der starren Linien zu dynami-
schen Kurven, zaubert eine Illusion der Befreiung von der ma-
teriellen Schwere, eine Bewegung der Formen hervor. Diese Be-
strebungen der Blütezeit steigern sich in einer ziuflöstmg der Ar-
chitektur in Wolken (die Veranschaulichung einer Illusion der
Entmaterialisierung der gebundenen Formen in Licht und Schat-
ten) zu einem dramatischen Ereignis.
Der perspektivische Illusionsraum des Barocktheaters der Blüte-
zeit weist noch die zentrale, endlose Perspektive mit der senk-
recht gerichteten Achse auf, basierend auf den Erkenntnissen des
Serlio der Renaissance.
Ferdinando Galli-Bibiena legt nun im Spätbarock diese senk-
rechte Achse auf 45 Grad um.
Diese umwälzende Neuerung erweitert nicht nur wesentlich dic
bisherigen Grenzen der Linearperspektive, sondern bedingt auch
durch die Schrägstellung der Architektur eine gänzlich neue
Anordnung des Bildaufbaues und somit der Spielflächcn. Da-
durch werden neue Bewegungsmöglichkeiten mit einem span-
nungsreicheren, dynamischeren Effekt erzielt, jedoch ohne an
Dichte und Intensität einzubüßen.
Das Genie der Theaterarchitekten der Barocke hat zweifellos
einen sehr wesentlichen Anteil an dem so großartigen Aufblühen
der Oper und ihrem so erfolgreichen Siegeszug durch Europa,
einem wahren Triumph übcrschäumender Lebensfreude.
Kann man doch überhaupt die Entwicklung der Oper mit
den perspektivischen Bestrebungen als eng verbunden ansehen.
Wie die Perspektive, ist
auch die Oper eine Schöp-.
fung der Renaissance. Sie
entwickelt sich rasch aus
den Intermezzi, diesen
Einlagen oder Zwischen-
spielen heiteren oder
ernsten Charakters, wel-
che schon bald Ballett-
cinlagen, wie die be-
rühmte Moreska, das
Mohrenballett, aufweisen,
zu einer selbständigen
Kunstform, die schon
Ende des 16. jahrhun-
derts in Florenz, bald
auch in Venedig und Nea-
pel die ersten ihrer lan-
gen (und hoffentlich nie
enden wollender) Reihe
von Erfolgen feiert, um
schließlich in Wien ihren
ganzen Zauber in gran-
dioser Pracht zu entfalten
und in einer weitgehen-
den Verschmelzung ihrer
Komponenten Musik,
Dichtung, Bild eine ge-
wisse Erfüllung zu finden.
Wien hat den italienischen
Zentren der Opernpflege
den Rang abgelaufen und