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Volltext: Alte und Moderne Kunst I (1956 / Heft 2)

BÜHNENBILDENTWÜRFE 
DES 
ISJAHRHUNDERTS 
WOLFRAM WACHA 
stellt die Akademie der bildenden Künste im Kupferstich- 
kztbinett als 12. Ausstellung aus ihren Sammlungen aus. 
Die gezeigten Handzeichnungen, Aquarelle, Druckgraphiken 
machen auf einen bedeutenden Abschnitt österreichischer Thea- 
tergeschichte und europäischer Kulturgeschichte aufmerksam. 
Sie zeigen ein lebendiges Bild jener glanzvollen, in freudiger 
Lebensbejahung förmlich überquellender Epoche, in einer 
gewissen Hinsicht vielleicht sogar ein unmittelbarercs, als es 
uns heute Dichtung und Musik vermitteln können. Die Aus- 
stellung ist ein besonders gelungener Beitrag zum Gedenkjahr 
Mozarts, als welcher sie von der Akademie gedacht ist. 
Die Raumbildgestaltung ist, nach einer fast zwei jahrhunderte 
alten Entwicklung der Perspektive in der Renaissance bereits im 
Hochbarock, mit dem großen Meister der Theaterausstattung und 
Festgestaltung Ludovico Burnacini zu einer gewissen, nahezu 
unübertreffbaren Vervollkommnung gelangt und überbietet 
sich immer wieder selbst in ihrem Ringen um eine Loslösung vom 
Gegenständlichen (diesem alten, bis in die heutige Zeit der 
Moderne aktuellen Problem) mit seinen starren und gebundenen 
Linien in einer grandiosen Prachtentfaltung, welche sich bis in 
das Spätbarock hineinsteigert, um schließlich des öfteren das 
Theater in erster Linie zu beherrschen und das Spiel als solches 
zu einem lediglichen Vorwand der phantasiereichen Theater- 
architekten dieser Epoche zurückgedrängt wird. 
Serlios „Tiefenbühne" der Renaissance, mit ihrer schmalen Spiel- 
fläche und dem unbegehbaren, fiktiven Bühnenraum entwickelt 
sich im Barock zu einer wirklichen Tiefenbühne mit einem ge- 
 
Abb. 1 Anlonlh Gulll - Biblunn. Anhlhklurdotnll 
wissen Höchstmaß an Illusion. Die barocke Linicnbrcchung, mit 
der Loslösung und Auflockerung der starren Linien zu dynami- 
schen Kurven, zaubert eine Illusion der Befreiung von der ma- 
teriellen Schwere, eine Bewegung der Formen hervor. Diese Be- 
strebungen der Blütezeit steigern sich in einer ziuflöstmg der Ar- 
chitektur in Wolken (die Veranschaulichung einer Illusion der 
Entmaterialisierung der gebundenen Formen in Licht und Schat- 
ten) zu einem dramatischen Ereignis. 
Der perspektivische Illusionsraum des Barocktheaters der Blüte- 
zeit weist noch die zentrale, endlose Perspektive mit der senk- 
recht gerichteten Achse auf, basierend auf den Erkenntnissen des 
Serlio der Renaissance. 
Ferdinando Galli-Bibiena legt nun im Spätbarock diese senk- 
rechte Achse auf 45 Grad um. 
Diese umwälzende Neuerung erweitert nicht nur wesentlich dic 
bisherigen Grenzen der Linearperspektive, sondern bedingt auch 
durch die Schrägstellung der Architektur eine gänzlich neue 
Anordnung des Bildaufbaues und somit der Spielflächcn. Da- 
durch werden neue Bewegungsmöglichkeiten mit einem span- 
nungsreicheren, dynamischeren Effekt erzielt, jedoch ohne an 
Dichte und Intensität einzubüßen. 
Das Genie der Theaterarchitekten der Barocke hat zweifellos 
einen sehr wesentlichen Anteil an dem so großartigen Aufblühen 
der Oper und ihrem so erfolgreichen Siegeszug durch Europa, 
einem wahren Triumph übcrschäumender Lebensfreude. 
Kann man doch überhaupt die Entwicklung der Oper mit 
den perspektivischen Bestrebungen als eng verbunden ansehen. 
Wie die Perspektive, ist 
auch die Oper eine Schöp-. 
fung der Renaissance. Sie 
entwickelt sich rasch aus 
den Intermezzi, diesen 
Einlagen oder Zwischen- 
spielen heiteren oder 
ernsten Charakters, wel- 
che schon bald Ballett- 
cinlagen, wie die be- 
rühmte Moreska, das 
Mohrenballett, aufweisen, 
zu einer selbständigen 
Kunstform, die schon 
Ende des 16. jahrhun- 
derts in Florenz, bald 
auch in Venedig und Nea- 
pel die ersten ihrer lan- 
gen (und hoffentlich nie 
enden wollender) Reihe 
von Erfolgen feiert, um 
schließlich in Wien ihren 
ganzen Zauber in gran- 
dioser Pracht zu entfalten 
und in einer weitgehen- 
den Verschmelzung ihrer 
Komponenten Musik, 
Dichtung, Bild eine ge- 
wisse Erfüllung zu finden. 
Wien hat den italienischen 
Zentren der Opernpflege 
den Rang abgelaufen und
	        
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