Erläulerungen zu einzelnen Abbildungen:
Zu Abbildung 1 und 2:
Obwohl die Form der Kommode zunächst außergewöhnlich
erscheint, kann sie dennoch nur im österreichischen, eventuell
noch im süddeutschen Kulturraum entstanden sein.
Es ist ein Möbel des Rokoko. Die grundlegende Forderung, die
der Möbelkünstler dieser Zeit zu berücksichtigen hatte, war die
nach der weichen Kontur, welche in fließenden Übergängen alle
Teile des Möbels zu einer geschlossenen Einheit zusammenfassen
sollte. Wenn wir nun genauer zusehen, oder besser, wenn wir
uns vorstellen, es würden mit einem Zauberschlag die weichen
Biegungen der Kanten zu scharf gespannten Geraden erstarren
und an Stelle der kleinen Volutenfüßc die üblichen „Laberln"
treten, dann hätten wir tatsächlich eine jener unzähligen Schreib-
kommoden vor uns, wie man sie in Österreich immer wieder
antrifft. Es ist denn auch die simplere und einfallslosere Mög-
lichkeit für den damaligen Tischler diejenige gewesen, den längst
eingebürgerten Aufbau: dreiladige Kommode und schrägen
Schreib-Oberteil, beizubehalten und ihn bloß, um dem neuen Stil-
empfinden zu entsprechen, mit Rokoko-Intarsien und Beschlägen
zu versehen.
Der Meister des hier abgebildeten Möbels war konsequenter,
denn er gab dem ganzen Möbel eine neue Form. Man beachte
z. B. die untere Kante, bei deren Linienführung es vor allem
darum geht, die strukturelle Betonung und Trennung zwischen
Füßen und Zarge zu verwischen, und wie dieses Prinzip mit der
Notwendigkeit der Lade verbunden und gelöst wird. Ferner fällt
einem auf, wie den bombierten Wänden und gekrümmten Kanten
der Kommode der ebenfalls geschwungene und dachförmige
Oberteil entspricht und wie damit das ganze Möbel einen har-
monischen Abschluß erhält. Nicht übersehen werden dürfen die
prächtigen Intarsien und Maserholzfurniere, deren Konturen wie
eine reiche Paraphrase auf den Umriß des Möbels gezeichnet
sind, und deren Maserung zu bizarren Masken und anderen For-
men zusammengesetzt wurden.
Zu Abbildung 3:
Was über die in Abb. 1 und 4 gezeigte Kommode hinsichtlich
des Gesamtaufbaus und der Umrißgestaltung festgestellt wurde,
gilt im besonderen Maße für das hier abgebildete Möbel. Die
Rokoko-Tendenz zur geschlossenen Kontur verbindet sich mit
einem anderen Merkmal dieses Stils: der Freude am Bizarre-n
und am originellen Einfall. Zweifellos wird aber hier des Guten
etwas zu viel getan. Die Formprinzipien des Rokoko sind über
die Grenze einer harmonischen und dezenten Auslegung hinaus
befolgt worden. Doch gibt gerade dieser Umstand dem Möbel
auch wieder seinen Wert. Es ist aufschlußreich, ein Erzeugnis
kennen zu lernen, das so ungeniert und extrem mit den For-
derungen eines Zeitstils ernst macht. Allerdings deutet diese
Folgerichtigkeit in der bewegten Urnrißgestaltung eher auf eine
Herkunft aus der Provinz, vielleicht auch aus Süddeutschland,
als aus Wien, wo man stets mehr Zurückhaltung übte.
Das Amüsante an den Sesseln ist die Verbindung zweier Stile
in der Form und im Dekor. Die Lehnen sind noch ganz dem
Rokoko verpflichtet, das sich auch in den bescheidenen Rocaillen
dokumentiert. Die Ausführung der Füße sowie der Mehrzahl der
Ornamente (Maschen, Girlanden und Zöpfe) folgen den stilisti-
schen Bestimmungen des Frühklassizismus der josefinischcn Ära.
Zu Abbildung 4:
Frankreich war um die Mitte des 18. Jahrhunderts in allen Fra-
gen der Innendekoration und der Möbelkunst unbestritten ton-
angebend. Die dort erfundenen Formen und der Luxus, der mit
kostbaren Hölzern, virtuosen Intarsien und reichen Bronze-
beschlagen getrieben wurde, fand in anderen Ländern bereit-
Abb. 2. Rokokoschrcibkommode. Höhe: 120 cm; Tiefe
stärkster Ausladung): G2 cm; Breite: 138 cm; Nuß- und Nuß-
maserholz; Adern: Zweischkc und Ahorn; Kanten: Zwetschke
und Nuß; Körper: größtenteils Weichholz. Um 1750.
16