KUNST
UND
HOBBY
ALTE UND
MODERNE
KUNST
IM
SPIEGEL
DER
BRIEFMARKE
V0
PAUL WERBER
Man kann das oft gehörte Wort „Kunst ist
zeitlos" zwar begrifflich verstehen, aber durch-
aus nicht widerspruchslos hinnehmen. Denn ge-
nau so, wie zwischen der Musik Wolfgang
Amadeus Mozarts und Igor Strawinskys ge-
waltige Unterschiede bestehen, existieren solche
auch in der darstellenden Kunst und Graphik
und beweisen, daß Kunst eben identisch mit
Leben ist und solcherart Zeitströmungen und
Geschmacksrichtungen unterworfen wird.
Ein Vergleich „alter" mit „moderncr" Kunst
- der hin und wieder Gelegenheit zu endlosen,
erbitterten Diskussionen gibt - ist eigentlich
ebenso zwecklos, wie ohne tieferen Sinn. Denn
niemals werden sich die Anhänger der einen
oder der anderen Richtung von spitzfindigen
Argumenten überzeugen lassen und mit flie-
genden Fahnen ins gegnerische Lager übergehen.
Erst vor ein paar Wochen haben wir in Öster-
reich einen solchen Zusammenprall der Mei-
nungen wegen der künstlerischen Ausgestaltung
eines Bahnhofs in aller Schärfe erlebt und uns
dabei erinnert, daß vor einigen Jahrzehnten
um das „Goldmann i? Salatsch-Haus" am
Michaelerplatz, Ecke Kohlmarkt (Wien), ähn-
liche Diskussionen geführt wurden, die uns
heutzutage geradezu komisch anmuten, denn
die ihrer Epoche weit v-orauseilende Schöpfung
des Architekten Adolf Loos wurde richtung-
gebend für die ganze Welt und wer empfände
heute etwa, daß die stukkaturl-ose Fassade die-
ses Hauses den Michaelerplatz verunziere?
Wenn Adolf Loos in seinem Buch „Ins Leere
gesprochen", das in den Jahren 1897-1900
geschrieben wurde und erst 1920 im Verlag
von Georges Cres u. Co., Paris, veröffentlicht
werden konnte, weil kein deutscher Verlag die
Veröffentlichung wagte, im Vorwort betont:
"Hat nur ein einziges gesrblecbt sich der
neuen scbreibwcise bequeml, so wird im
nachfolgenden kein bahn nach der alten:
kräben. Lassen wir doch an den lzäusvrn die
gicbel, die vorxprünge der bnlksn, aus den
lnmren das puder weg. warum w]! in der
scbrift aller unrut bleiben?"
so trifft er damit den Nagel auf den Kopf. Der
immer noch herumgeistcrndc Kampf um eine
neue deutsche Orthographie, der mit nicht
immer logischen Argumenten, aber beispielloser
Erbitterung geführt wird, zeigt uns Ähnlich-
keiten einer Kampfweise, die zwischen den Ver-
fechtern „alter" und „moderner" Kunst ent-
brannt ist und allen Ernstes verlangt, künst-
lerische Werturteile zwischen Picassos "Frie-
denstaube" und, sagen wir. der „Sixtinischen
Madonna" Raffael Santis, ex aequo, zu er-
lassen.
Dazu kann man nur sagen, daß es notwendig
ist, eine Art „Koexistenz" zwischen alter und
moderner Kunst zu propagieren, weil die Un-
möglichkeit offenbar wird, Vergleiche zwischen
derartig heterogenen Kunstwerken zu ziehen.
Wieder ist es die kleine Briefmarke, der Gegen-
stand eines wirklich international verbreiteten
Hobbys, die uns die Möglichkeit gibt, alte und
moderne Kunstauffassungen leidenschaftslos zu
betrachten und rein geschmackliche Vergleiche
zu ziehen, ohne in den Fehler zu verfallen, mit
Kanonen auf Spatzen zu schießen und gleich
künstlerische Wertungen vorzunehmen. Unsere
erste Bildreihe zeigt von links nach rechts den
Kopf eines Bischofs, nach dem 800 Jahre alten
Bild aus dem Mittelalter der Domkirche zu
Nidatos (Norwegen), daneben ,.La Gioconda",
die weltberühmte „Mona Lisa" Leonardo da
Vincis. Die nicht minder weltberühmte „Sixti-
nische Madonna" Raffael Santis und ein „Kna-
benbildnis" von Bernardino Pinturicchio wer-
den abgeschlossen von Albrecht Dürers „Maria
mit dem Kinde" und dem "Bildnis eines jungen
Mannes" desselben Künstlers. Es handelt sich
hier um Postwertzeichen, die uns mit mehr oder
weniger graphischem Können, Reproduktionen
weithin bekannter Meisterwerke vermitteln und
durch ihre Millionenauflagen geschmackbildend
wirken müssen.
Unsere zweite Bildreihe hingegen, vermittelt uns
modemc Gebrauchsgraphik in Briefmarken-
größe, die durch ihre Symbolik auf uns wirken
soll. Diese Symbolik des modernen Künstlers
vermeidet bewußt die althergebrachten Wege
und chokiert anfangs durch ihre XVucht, bis
man sich schließlich auch an diese Gestaltungs-
art gewöhnt und nicht nur das „verkleinerte
Plakat", sondern auch die ehrlich angestrebte
künstlerische Wirkung in diesen modernen Max-
ken erkennen kann. Freilich geht es dabei auch
nicht ohne Meinungsverschiedenheiten über
künstlerischen Wert oder Unwert dieser Post-
wertzeichen ab, die in der Tagespresse und den
philatelistischen Fachblättern der betreffenden
Länder publiziert werden. Nicht widerspruchs-
los wurden die beiden. graphisch hervorragend
geglückten, schweizerischen Marken zum 50jäh-
rigen Jubiläum des simplen-Tunnels und zur
Luzerner Ausstellung von 195-! hingenommen,
während die drei folgenden Postwertzeicheni
der Deutschen Bundesrepublik, zur „Europäie
schen Fahrplankonferenz 1955", die ..Heimat-
Vertriebenen-Sondermarke" und die „Gedenk-
marke zur IOOOeJahi-feier der Schlacht auf dem
Lechfcld" ob ihrer Symbolik heftig kritisiert
wurden.
Sollte sich jedoch unser Kunstgeschmack in
den nächsten Dezcnnien auch bei bildlichen
Darstellungen soweit ändern, wie er sich in den
vergangenen fünfzig Jahren bei der Architektur
geändert hat, so wird man dann lächelnd die
„unbegreiflichen Widerstände" registrieren, die
sich bei Arbeiten hervorragender Künstler in
den Fünfziger-Jahren des zwanzigsten Jahr-
hunderts ereignet haben. „Temporal mutanrur,
nos et mutzimur in illis", der alte lateinische
Spruch „Die Zeiten ändern sich und wir ändern
uns in ihnen" gilt für das ganze Leben, wie
für die Kunst. Deshalb verdammen wir nicht
voreilig jeden „Neucrer", weil wir nicht wissen
können, wie unsere Nachkommen dereinst dar-
über urteilen werden. Auch der begeistertste
Sammler vun Biedermeier-Freundschaftsbechern
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5.2: 523.2: 5,53m
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