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Volltext: Alte und Moderne Kunst II (1957 / Heft 1)

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RUHMESWERK ZUR 
GALANTEN 
LEKTÜRE 
Von ANNA CORETH 
v iiilii .1 
lmüaf. 
l. Abt Gottfried Bessel von Göttweig. Verfasser 
Ihronikon Gottwicense" (1732). 
unbekannt ruht seit zwei Jahrhunderten in der Handschrif- 
mmlung der Wiener Nationalbibliothek ein monumentales 
hichtswerk, von dem mit Recht geschrieben wurde, man 
kaum jemals etwas ähnliches gesehen. Es ist das prächtigste 
R u h m e s w e r k e über das Haus Habsburg, die für das 
ahrhundcrt so charakteristisch sind. Der Verfasser war 
dor Amade von Amaden, Abt von Maria de Castro Carino, 
enczianer. Auch dies ist gerade bezeichnend, denn am Hofe 
r Leopolds I. spielten Italiener eine bedeutsame Rolle, das 
nisch hatte damals als Sprache der Gesellschaft in Öster- 
cine fast ähnliche Verbreitung, wie später das Französisch, 
1m den Kaiser selbst gab es einen italienischen Kreis, dem 
ls einer der bestallten Hofhistoriographen angehörte. Ga- 
o Gualdo Conte di Priorato und Giovanni Battista Conte 
imazzi haben unter diesen die bedeutendsten Namen. 
Amade, der Verfasser jenes Prachtwerkes, arbeitete offen- 
n kaiserlichem Auftrag, denn er mußte diesem bci seinen 
nthalten in Wien getreulich über den Fortgang der Arbeit 
hten. Der erste Band war im Jahre 1680 vollendet, diesem 
an aber weitere fünf Bände, an denen der Autor volle 
ihre arbeitete. Prachtvoll ist die Ausstattung mit 6000 bis 
auf feinstes Pergament zart gemalten Wappen in Ring- 
lgröße, und typisch ist die Themenstellung, die seit etlichen 
zehnten in allen großen Habsburgerwerken variiert aufzu- 
finden war: die Herkunft Leopolds und seine Abstammung von 
den bedeutendsten Kaisern und Königen, die Tatsache anderer- 
seits, daß Habsburgerblut in allen Dynastien wcitcrfließt, und 
die daraus entspringende Berechtigung, den kaiserlichen Thron 
als Haupt des Erdkreiscs einzunehmen. Unterstrichen wird dies 
noch durch die niemals fehlende traditionelle Stammsage, dies- 
mal in jener Form, die ihr Maximilian I. und dessen Historiker 
gegeben hatten, wobei der Stammbaum über die fränkischen Kö- 
nige zurück zu den trojanischen Helden geführt wird. 
All dies hatte schon viel Staub aufgewirbelt, vornehmlich im 
16. Jahrhundert, als zwischen den spanischen Niederlanden und 
Frankreich eine heftige literarische Fehde um die fränkische Ab- 
stammung der Habsburgcr ausgefochten worden war, weil diese 
den Valois' den Rang ablaufen wollten, die echten Nachfolger der 
Karolinger und Karls des Großen zu sein. Man sieht, es ist dies 
keineswegs nur Spielerei, sondern Politik. Nun aber zu Ende 
des 17. Jahrhunderts traten diese kühnen Kombinationen zurück, 
man wurde nüchterner und skeptischer. Hatte schon Ferdi- 
nand II. geäußert, wenn man noch lange nach den Ahnen for- 
sche, werde man noch auf einen Schafhirten stoßen, so ging nun 
die ebenfalls sehr verbreitete Sage, die über die römischen Pier- 
leoni zu den Aniciern zurückführte, in Brüche, als darauf hin- 
gewiesen wurde, daß die Pierleoni ja doch Juden gewesen seien. 
Die gesamte Auffassung der Geschichte erfuhr jedoch um die 
Jahrhundertwende einen merklichen Wandel. Denn der aus dem 
barocken Theater übernommene Begriff der G e s c h i c h t s - 
b ühne, auf der sich die Tragödien der von der Fortuna empor- 
gehobenen und wieder gestürzten Helden abspielen, ist in der 
historischen Literatur durchwegs anzutreffen. Dic Gepflogenheit, 
historische Gestalten als Typen lebender Persönlichkeiten dar- 
zustellen, also etwa Karl den Großen als lebenden Kaiser, Leo- 
pold den Heiligen als Leopold I. usw., unterstreichen noch die 
Relativität des barocken Geschichtsbildes, das auf den leicht- 
gläubig hingenommenen Überlieferungen aufbaute. 
Nun aber macht sich eine neue Richtung geltend, die sich in der 
Stille der Klöster entwickelt hatte, und vom kritischen Studium 
der G e s c h i c h t s q u e l l e n ausgeht. Es waren jene Stifte, 
die aus der tiefsten Erniedrigung zur Zeit der Reformation nun 
wieder zu neuem Glanz emporstiegen, großartige Bauten im 
triumphalen Barockstil aufrichteten und auch eine neue geistig- 
kulturelle Blütezeit erleben durften. Hier nahm, der Sitte der 
Zeit entsprechend, die Bibliothek einen zentralen Platz ein. Jene 
Klosterbibliotheken aber umfaßten in ihren handschriftlichen Be- 
standen noch ungehobene Schätze, nicht nur auf dem Gebiete 
der Theologie, sondern auch der anderen Wissenschaften und 
der Geschichte. Und nun gewinnt auch das Archiv mit seinen 
alten Dokumenten nicht bloß rechtliche, sondern auch historische 
Bedeutung. Es waren vor allem zwei Brüder, Bernhard und Hie- 
ronymus Pez, Benediktiner in Melk, die sich zur Aufgabe stellten, 
diese Schätze ihres Ordens zu heben. 
Zunächst ernteten die begeisterten Mönche, die von Stift zu Stift 
reisten, um mit Bienenfleiß alte Schriften zu entziffern und ziem- 
lich wahllos zu edieren, manchen Spott. Trotzdem schufen sie 
Großes, nicht nur dadurch, daß sie viel unbekanntes Material 
aus den „Finsternissen" der Vergessenheit an das „helle Licht 
des Tages" förderten, sondern auch dadurch, daß sie schließlich 
doch den Stein ins Rollen brachten und Nachahmung fanden. 
Die Sonne des neuen, „aufgeklärten" Geistes in den Klöstern 
erstrahlen zu lassen und die österreichischen Stifte in die sich 
bildende literarische Welt Europas einzubauen, - dies ist das 
in dem Titelbilde des Werkes „Scriptores Rerum Austriacarum" 1 
von Hieronymus Pez bildlich dargestellte Programm. 
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