MODERNE GALERIE ALS AUFGABE UND VERANTWORTUNG
Von VINZENZ OBERHAMMER
Die „Moderne Galerie", die heute auf eine mehr als SOjährige
Geschichte zurüeksieht, erhielt bereits im Jahre 1901, zu einem
Zeitpunkt als sie erst als Wunsch und als Forderung existierte,
in zwei Hauptstücken des heutigen Bestandes die ersten Zuwen-
dungen: in Van Goghs „Ebene bei Auvers" und in Segantinis
Gemälde „Die bösen Mütter". Bemerkenswerterweise kam diese
erste Widmung von seiten künstlerisch schöpferischer Kreise,
von seiten der „Sezession", die damit die Ernsthaftigkeit ihres
Memorandums an das damalige K. K. Unterrichtsministexium,
Abb. l. Alberto Giaoametti: Der Bruder des Künstlers.
Neuerwerbung.
in dem die Gründung einer staatlichen modernen Galerie ange-
regt wurde, überzeugend unter Beweis stellte. Mit vollem Erfolg.
Denn bereits zwei Jahre später, im Jahre 1903, ist die formelle
Gründung dieser „Staatlichen Modernen Galerie" erfolgt und
nach langjährigen Bemühungen und ausgedehnter Sammeltätig-
keit - neben der Sezession ist hier vor allem der Verein der
Museumsfreunde zu nennen, dessen Leistungen die finanzielle
Grundlage des Unternehmens boten - und nach zielstrebiger
Vorbereitungsarbeit konnte diese im Jahre 1929 im Gebäude
und Garten der Orangerie des Belvederes eröffnet werden. Diese
äußerst gelungene Museumsschöpfung F. M. Haberditzls, in
der die österreichischen und nicht-österreichischen Kunstwerke
zu einer Gesamtschau der neueren europäischen Kunstentwick-
lung in glücklicher Weise zusammengeschlossen waren, erfreute
sich der besonderen Achtung und Anerkennung des In- und Aus-
landes, bis im Jahre 1938 deren Schließung erfolgte.
Erst 1951, nach dem Kriege, wurde der Grundgedanke dieser
Museumsschöpfung l-laberditzls, das sehr aufschlußreiehe und
sich gegenseitig ergänzende Nebeneinander der österreichischen
und der internationalen Weltkunst, noch einmal in einer tem-
porären Ausstellung aufgenommen, die die Österreichische Ga-
lerie unter Leitung ihres Direktors, Hofrat Dr. Garzarolli, in
den Sälen des Wohngesehosses der Hofburg veranstaltete.
In den nächsten Jahren verfolgte man einen anderen Museums-
gedanken, der von der Idee Haberditzls abrücktc: im Rahmen
eines neuen Programmes der Österreichischen Galerie als eines
rein österreichischen Museums erfuhren die österreichischen
Werke des 19. und 20. Jahrhunderts im Oberen Belvedere eine
gesonderte Aufstellung. Das ehemalige Heim der „Modernen
Galerie", die Orangerie des Belvederes, wurde im Rahmen dieser
Neuordnung anderen musealen Zwecken, nämlich der Auf-
stellung des „Museums mittelalterlicher österreichischer Kunst"
zugeführt. Die dadurch heimatlosen nichtösterreichischen Kunst-
werke der Modernen Galerie wurden im vergangenen Jahre zur
weiteren Verwahrung und Betreuung dem Kunsthistorischen Mu-
seum übergeben. Das Kunsthistorische Museum hat damit nicht
nur eine zusätzliche Anzahl von Bildern und Plastiken, es hat mit
diesem Bestand eine nicht zu unterschätzende Aufgabe und
Verantwortung, die Schöpfung eines neuzeitlichen Museums der
neueren europäischen Kunst übernommen. Ich sage: „eines
Museums der neueren europäischen Kunst", um ein Programm
anzudeuten, während der Titel der Ausstellung „Die Moderne
Galerie" den alten Namen des Museums in der Orangcric auf-
nimmt und den übernommenen Bestand kennzeichnen will.
Im Bewußtsein dieses Auftrages, dieser Aufgabe, ist die Mu-
seumsleitung von Anfang an allen Möglichkeiten nachgegangen,
die zu einer umgehenden sinngemäßen und würdigen Aufstel-
lung dieses Bestandes als Voraussetzung für dessen weiteren Aus-
bau führen konnten. Das Kunslhistorische Museum als Sammel-
stätte der ehemals kaiserlichen Kunstsammlungen konnte hiefür
weder den gemäßen Rahmen noch entsprechenden Raum bieten.
Es mußte nach anderen geeigneteren Objekten Ausschau gehal-
ten werden. Wiederholt fast am Ziele einer wenigstens proviso-
rischen Darbietung, wurde die Verwirklichung der Absichten
immer wieder vereitelt. Um so übereinstimmender begegneten
sich die Museumsleitung und die Öffentlichkeit in dem Wunsche,
daß die nun schon seit so langer Zeit in Depots verwahrten
Kunstwerke wenigstens wieder einmal in einer vorübergehen-
den Ausstellung in Wien gezeigt werden könnten, nachdem eine
Auswahl von ihnen im Vorjahre in Graz, in Klagenfurt und in
Innsbruck zu sehen war. Das Entgegenkommen der Akademie
der bildenden Künste ermöglichte die Erfüllung dieses Wunsches.