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Volltext: Alte und Moderne Kunst II (1957 / Heft 2)

Wie ist alles anders! Noch sieben Stunden bis Sao Paulo, der 
Stadt der modernen Architektur, des aufstrebenden Weltstadt- 
gedankens. 
Niemand, der Rio versäumen möchte, mit seinen herrlichen 
Küstenstraßen, der weltberühmten Copacabana, den Bergen 
mitten im Stadtbild und dem ausgeglichenen Klima. Wunderbar 
ist der Anflug vom Norden. Wir fliegen knapp an der riesigen 
Christusstatue am Corcovado vorbei, die hell beschienen ist. Man 
vergleicht sie der Freiheitsstatue vor New York und zieht den 
Atem an über dieser wahrhaft einmaligen Stadtlandschaft mit 
Seen, Bergen und Flußläufen in ihren Grenzen. 
 
Abb. 2. Kontraste. Wie überall. wo über dem behitbigen Hindäminern 
der Jahrhundertwende plötzlich das Gigantische hereinbraeh. übergangs- 
los und im Rekord, bleiben solche Anachronismen wie durch Zufall übrig. 
Der Flug von Rio nach Bahia, dem heutigen Salvador, wird nur 
von zweimotorigen Maschinen durchgeführt. Wir benützen den 
„Cruzeiro do Sul". Der Flugbahnhof Santos Dumont liegt im 
Innern der Stadt, während der Flugplatz für die großen Ma- 
schinen weitab am Stadtrand sich befindet. Wir unterbrechen 
den Flug vorerst nach einer halben Stunde in Vitorio. Die Küste 
entlang gewahrt der eifrige Beobachter aus der Vogelpcrspck- 
tive Einblicke in die Urwaldlandsehaft, die Riesenschlingcn gi- 
gantischer Flußläufe. Abwechselnd grünes und dürres Land, 
braune und rote Erde, ein Panorama der Einsamkeit. 
Plötzlich regnet es. Gewaltige Güsse treffen den Vogel. Böen 
stoßen gegen den Rumpf des Flugzeugs. Sie heben ein wenig 
die Flügel von unten. Immer wieder durchdringen wir Wolken- 
ballen. Sie machen eine Weile das Flugzeug erzittern und lassen 
es leise wippen von einem Flügelendc zum andern. Usc cintos! 
Es schaukelt manchmal bedenklich. Dichter Nebel liegt über 
dem Boden. Aber der Pilot findet bravourös seinen Weg. Er 
nimmt die Kurven, als schäle er einen Apfel. Große Schirme 
werden uns beim Aussteigen gereicht. In einer halben Stunde 
geht es weiter. Es rieselt noch im Grau. Aber als wir wieder 
hochkommen, wie ein Wunder, es ist ein viertel sechs Uhr 
abends, um sechs bricht plötzlich die Finsternis herein. Aber 
jetzt leuchtet noch die Sonne über dem Ncbelmecr. Die Wolken- 
schwaden ziehen, dünne blaue Schleier. Die Motoren stemmen 
sich_-gegen das Windgebrause. Nur die starke Sonne gibt Hoff- 
nung. Wieder ergießt sich das Abendrot über eine phantastische 
Landschaft. Noch immer streben die breiten Flüsse in weiten 
Schlingen zum Meer. Der matto virgem (Urwald) schließt sich 
zusammen zur Nacht. Noch drei Stunden dauert der Flug. Man 
laßt sich in die Polster zurücksinken. Das Licht wird gelöscht. 
Kühl wird es in dcr Kabine, die anscheinend weniger drucksicher 
ist. Die Hostcß teilt Decken aus. Nlan packt sich ein. Einen Hut 
auf den Kopf! Mit Mänteln und Shawls ist man gewappnet. Ich 
schreibe mit H.'xndsehuhcn an den Händen und versuche einiges 
festzuhalten. So vergehen die Stunden. Nach vereinzelten Lich- 
tern wicder ein Lichthaufen in der Tiefe. Die Sternenkette an 
der Praia wird sichtbar. Die Stewardefl verrät mit Lächeln: zehn 
Minuten noch nach Buhia. 
Welch eine angenehme laue Luft umfängt uns wieder. Wir alle 
stecken noch in Mänteln. Erst auf der Fahrt in diese romantische 
Traumstadt löst sich die Starre. Das Bild Brasiliens ist mannig- 
faltig. Hier offenbart sich für unser Empfinden die glückliche 
Hatrmonie von Natur und Zivilisation. Es stört kein Wolken- 
kr; zer und kein Baugerüst. In ruhiger Beschaulichkeit liegen 
die Parkanlagen da, sie vermitteln ein beglückendes Gefühl des 
Friedens. Die niedrigen Paläste zeugen von portugiesischer, ja 
noch niederländischer Eigenart. Die Sehnsucht rührt der weite 
Blick über das Meer. Die Altstadt in der Tiefe birgt Quellen 
ursprünglichen Volkstums. Dreihundertundfünfundsechzig Kir- 
chen, soviel Tage das Jahr hat, laden zum Besuch. Viele, wie das 
liranziskanerklostcr, prangen in Gold. Auf den Märkten quirlt 
das bunte und nackte Leben. Neger neben Indios halten hier ihre 
Waren feil. Kinder betteln. Die Kutsche eines Reichen fährt 
vorbei. Keiner beneidet den andern. Unsere Augen trinken Far- 
ben und Fülle dieser fremden Schönheit und Eigenart. Sie feiern 
Feste, die sie sich schon lange gewünscht. Eine blinde Frau geht 
vorüber. Hilfreiche Hände stützen sie. Sie ahnt nichts von unsc- 
rcm Glück der Fremde. Uns kommen die Tränen. Wir wissen 
nicht mehr, warum. 
Am nächsten fvlorgcn fliege ich endlich weiter nach Sao Paulo. 
 
(Öelzet-Orient 
rlez (ßeßswteppiah. (um Österreich. 
ein. hrzmituljtu Äpifzwuszvirgzniß 
lteznältrlr Qmrlitii}, ruu reiner, edelste: Walle 
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