ZUR GESCHICHTE UND BEDEUTUNG
VonDORAHElNZ DES GÖSSER ORNATES
Ein cinziger fünfteiliger Ornat hat sich aus dem hohen Mittel-
alter bis auf den heutigen Tag erhalten: die berühmten Gewän-
der aus dem sleiermärkischen Nonnenkloster Göß, die sich heute
im Österreichischen Museum für angewandte Kunst in Wien be-
finden. Verschiedenartige geometrische Ornamente und vor allem
eine große Zahl von kleinen Ticrbildern in Quadratfcldcrn in
bunter Seide gestickt bedecken den Grund der Stücke, die an
den bevorzugten Stellen noch durch figuralc Bilder in Kreis-
medaillons geschmückt sind. Diese reiche Ausstattung und be-
einzigartige Erhaltung. Mehr als sechs Jahrhunderte, auch noch
über die 1786 von josef II. angeordnete Aufhebung des
Klosters verblieb der Ornat an seinem Entstehungsort, bis er
1908 an das Museum gelangte. Eine einzige, allerdings durch-
greifende Restaurierung veränderlc die Stücke. Dabei wurde vor
allem die große alte Glockenkascl auf die Form der barocken
Geigenkasel verkleinert und mit den abgeschnittenen Stücken
die schadhaften Stellen der anderen Gewänder ergänzt. l Es ist
wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß diese Umarbeitung an-
Abb. 1. Madonna umge-
ben von den Evangelisten
Symbolen. Ixfmelstück des
Pluvialc vom Gösser Ornal.
Mitte 13. Jh.
Osmr. Museum 6. ungewandle Kunst
sonders die Tierbilder machen den Gösser Ornat zu einem künst-
lerisch und ikonographisch hoch interessanten Werk.
Über Zeit und Ort seiner Entstehung gibt der Ornat durch meh-
rere Inschriften und Bilder der Stifterin selbst Auskunft. Er
wurde im Gösser Kloster unter der Regierung der Äbtissin Kuni-
gunde II. (ca. 1239-1269) ausgeführt.
Das Kloster Göß wurde um das jahr 1000 als erstes und rein-
ziges Reichsstift in Österreich von der Familie des bayrischen
Pfalzgrafen Aribo gegründet, dessen Witwe Adala als Stifterin
verehrt wird. Über die mehr als 700 Jahre seines Bestandes
wurde das Andenken an die Gründerin im Kloster aufrecht-
erhalten. Ein marmornes Hochgrab im Langhaus der Kirche
mit einem dazugehörigen Altar nahm die Gebeine der als Hei-
ligen verehrten Gräfin Adala und ihrer Tochter Kunigunde, der
ersten Äbtissin des Klosters auf. Für den feierlichen Gottesdienst
am Todestag der Stifterin am 7. September - „der Stifterin
Strüzelwcih" - entstand der Ornat. Dieser speziellen Bestim-
mung und dem seltenen Gebrauch verdankt das Werk seine
läßlich der Aufhebung des Klosters und der - allerdings nur
kurzfristigen (bis 1808) - Verwendung als Bischofssitz erfolgte.
Damals wurden sowohl das Hochgrab wie auch der Altar der
Stifterin abgebrochen und zwei lilöße mit Paramenten sollen
die Mur hinab nach Graz gekommen sein.
In historischer wie in ikonographischer Hinsicht bietet sich die
Möglichkeit. die Entstehungsgeschichte wie auch die inhaltliche
Bedeutung der Bilder des Ornatcs noch etwas genauer zu be-
stimmen als es bisher der Fttll war. Außer den beiden heute
noch erhaltenen Bildern der Stifterin - auf dem Antependium
und auf dem Pluviale, wohin es bei der Restaurierung von der
Rückseite der Kasel versetzt wurde - war ursprünglich noch
ein drittes Stifterbild vorhanden. Es befand sich auf dem Plu-
viale unterhalb des großen Kreismedaillons und ging bei der
Umarbeitung verloren. In einer Nachricht über den Ornat aus
1 Über tlle Rekonstruktion der alten Kusel Vgl. rlie grundlegende Arbeit über
den Gönner Ornnt von Morlz Dreger, Der Gösser Ornnt im k. k. Uaoterr. Museum
für Kunst untl Industrie, Kunst und Kunsthandwerk XI.