Delaunes Entwürfe sind wohl kleinteiliger und kälter, betonen
aber das Obszöne in vielem noch mehr, vor allem durch stark
utrierte Haltungen der Figuren. E. Vico bringt vor allem ganz
dünn gezeichnete Phantasiearchitekturcn mit einer Unzahl klei-
ner oft witziger Figuren, die den verschiedensten Tätigkeiten
obliegen.
Eine neue Wendung tritt am Beginn der zweiten Hälfte des
16. jh. ein durch die Verbindung der Groteske mit einem ganz
anderen Dekorationssystem: der Maureske. Dieses von den isla-
mischen Pflanzenrnnkenkompositioncn übernommene System ist
betont ilächig und in seiner Wirkung betont linear. Die Maureske
widerspricht in ihrer Art jeder räumlich gerichteten Bildung und
ist demnach den Grundprinzipien der Groteske fremd. Und doch
gehört es, wie etwa. bei P. Flötncr, zu den fruchtbarsten Bildun-
gen des 16. jh. auf dekorativem Gebiet, diese beiden Formen
miteinander zu verbinden. Das Gesamtsystem wird dabei vor
allem aus der Groteske übernommen, während die einzelne
Pilanzeniorm nun der Maureske entstammt und daher auch viele
Knoten- und Verschlingungsfiguren übernimmt.
Neben dieser Neuerung bringen aber niederländische Stecher,
vor allem C. Bos und C. und Floris die letzte Extremiorm der
Phantastik und Surrealistik der Groteske in ihren Rahmenkom-
positionen mit eingesperrten Figuren. Diese Entwürfe haben
nichts Pflanzliches mehr an sich, sie wirken räumlich und be-
stehen oft aus asymmetrischen, komplizierten Rahmenkonstruk-
tionen, die manchmal wie phantastische Wagen gebildet sind, die
aber trotz ihrer Räder nicht fahren können, weil sie an einigen
Stellen [estgerammt sind. In diese Rahmen sind Figuren eingesetzt
und eingesperrt, angeschmiedet oder sonst wie in ihrer Bewegung
gehindert. Die ganzen Kompositionen, die im Figuralcn viel
Dcrbhciten und Obszönitäten zeigen, sind voll von Bewegungs-
mögliehkeiten, die im einzelnen immer wieder unmöglich ge-
macht werden. Das Ergebnis ist trotz aller Lächerlichkeit der
einzelnen Szenen ein schauerlichcs Bild der Sinnlosigkeit.
Der deutsche Ornamentstecher L. Kilian findet am Beginn des
l7.]h. eine weitere Exlremform nicht so sehr auf dem Gebiet
des grotesken „Raume? wie dem der Figuren durch merkwür-
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Abb. 7. Wanddekoration von _].A.Duceroeau.Frankreich, 16. Jahr-
hundert.
dige, der realen Körperlichkeit widersprechende knorpelartige
Bildungen, die eine ins Schreckhafte und Komische gehende Ver-
zerrung der menschlichen und tierischen Figur darstellen und
die in den meisten Fällen zu Mischwesen ausgebildet werden.
Die letzte große Summe des ganzen Systems wird von einem
gezogen, der zu den bedeutendsten unter allen dekorativen
Künstlern gehört: von jean Berain d. Ä. Seine großen Wand-
felder bestehen in der Grundstruktur aus einem symmetrischen
Bandsystem, das an vielen Stellen, besonders am Rand orna-
mental fast flächig gebildet ist und Zusammenhänge mit der
Maureske aufweist, gegen die Mitte zu aber wieder zum quasi-
architektonischen Gebilde wird, zum „Raum" für Figuren und
Szenen. Der szenische Charakter ist sogar so stark, daß in den
meisten Blättern die Mitte aus einer kleinen Bühne für eine
theatralische Szene besteht. Auch in diesen Entwürfen gibt es
noch die Mischwcsen und auch die Eingekerkerten. Aber die
realistische Bühnenligur überwiegt. So findet die Groteske in
diesen Entwürfen, die selbst wieder Ausgangspunkt für die Wand-
dekorationen des späten Barocks bilden, zu ihrem Ausgang in
der Theaterabbildung wieder zurück.
Alles das stammt aus den unterirdischen Räumen, die - einst
Prunkräume der römischen Kaiserzeit - von den Gelehrten
und Künstlern der Renaissance mit viel Begeisterung ausgegra-
ben wurden. In diesen Gewölben fanden die Künstler lebendige
Szenen mit realen und unrealen Figuren. wirklichkeitsgetreuen
und kühn entworfenen Architekturen. Aus der Illusion dieser
Bilder schufen sie in ihren Dekorationen eine phantastische Welt.
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