KLEINES APPARTEMENT IN EINEM ALTEN RINGSTRASSENHAUS
DIE WOHNUNG EINES JUNGGESELLEN
In unmittelbarer Nähe des Burgtheaters, dort also, wo die Ring-
straßenarchitektur der francisco-josephinischen Ära ihre gräßten
Triumphe, um nicht zu sagen ihre Orgien gefeiert hat, steht
dieses Haus. Seine Fassade kann sich nicht genug daran tun, es
mittels palastähnlicher Allüren, wie Säulenportal, Rustikasockel,
schweren Balkons, dem benachbarten Liechtensteinpalais gleich-
Zutun, ja dessen barocke römische Grandczza zu übertrumplen.
Angesichts dieser Front ist man versucht, sich hinter den Fen-
stern auch heute noch die Räume wie einst mit Samtportieren,
dunklen Tapeten, Renaissanceplaionds und Eichcnvcrtälelungen
ausgestattet zu denken.
Die Überraschung ist daher eine vollständige, wenn man die
kleine Wohnung im obersten Stockwerk betritt und mit Erleich-
terung erkennt, wie hier zwar unter Beibehaltung der räum-
lichen Gegebenheiten ausstattungsmäßig doch etwas ganz Neues
und in der Wirkung völlig Zeitgemäßes erzielt wurde.
Neu und zeitgemäß? Die Mehrzahl der Bilder, Gegenstände und
Vorzimmen- Vorgegeben war einer jener zahllosen Vorräumqwic sie
für die Wohnungen der Gründerzeit so bezeichnend und für Wien
typisch sind: Schmal, nur von einem Hoffenster ungenügend erhellt,
ein nüchterner Zweckraum, eine einfallslose Lösung für eine Not-
wendigkeit. Diese Gegebenheit wurde mittels des hellen Wandanstrichs
und der Einrichtung zu einem freundlichen und bereits sehr persön-
lich wirkenden Raum umgestaltet, der dem Eintretenden sogleich über
Interessen, Ambitionen und Geschmack des Hausherrn Aufschluß gibt.
- Zwei Serien kolorierter englischer Jagdstiche an den beiden Längs-
wänden vermitteln durch das Thema und durch die fröhliche Farbig-
keit eine heitere Grunclstimmung. - Eine Etagere mit Büchern wirkt
immer behaglich und als belebender Akzent; sie beansprucht wenig
Platz und ist doch als Ablage für Kleinigkeiten gut verwendbar. H
Eichenstühle in zeitlos gültiger Form und Proportion, ferner die schöne
Laterne aus dem Ende des 18. Jh. vervollständigen die Einrichtung.
Man blickt in den Hauptraum der Wohnung. Die bequemen Sitzmöbel
im Vordergrund stehen vor einem Eckkztmin. - Das Gemälde ist ein
Werk von Heinrich Funk (1807-1877) und stellt den Nemisee dar
(datiert 13-10). H. Funk war ein Schüler Johann Wilhelm Schirmers
(1807-1863) in Düsseldorf und war später als Professor an der Aka-
demie in Stuttgart tätig. Seine Landschaftsbilder stehen stilistisch
zwischen Romantik und Realismus.
Möbel, die den Zimmern ihren Stempel aufdrücken, ist über
hundert jnhrc alt. Trmzdcm wirkt die Wohnung nicht antiqicrt.
Es sind die hellen Farben, die lockere Anordnung aller Dinge,
- der Bilder ebenso wie des Äiobilixrs. - es ist besonders die [n-
amllntion der Beleuchtung, die eine durchzius moderne Wirkung
hervorrufen.
Eine Ecke im Salon. - Der als Hausbar einge-
richtete josephinische Eckschraxik (Ende 18. 1h.)
wurde innen mit einer alten Landkarte ausge-
klebt und ist beleuchtet. Das Licht hinter den
verschiedenfarbigen Gläsern gibt einen guten
Farbeffekt. - Auf den Flaschen beachte man die
kleinen emaillierten Metallschilder (Mitte 19. ]h.),
die an Kettchen hängen und die Getränkesorte
angeben. Diese sogenannten „Labels" sind in Eng-
land ein beliebtes Sammelobjekt.