erstmalig mit einer Kollektivausstellung vor die Öffentlichkeit
trat. Mit bald 35 Jahren gehört man zwar, der Altersrechnung
nach, nicht mehr so richtig zu den „)ungen", aber auch hier
haben sich die Maße längst verschoben. Um 1900 herum, als der
Entwicklungsverlauf des gesellschaftlichen Lebens noch bestän-
dig und normal war oder doch erschien, war ein junger Mann
von 25 jahren bereits ein „gesetzter Herr". Heute hingegen sind
gerade die, auf die es ankommt, oft noch bis zu 40 und 45 jah-
rcn „jung" im Sinne von unterwegs zu dem, was man als ihre
menschliche Position bezeichnen könnte.
Seine Ausstellung bei Würthle ließ das klar erkennen. Die Ma-
lerei trat in ihr zurück. Was die Wände an Zeichnungen zu
bieten hatten, war fast durchwegs auf die Plastik zugeschnitten.
Akte, Figurcn- oder fragmentarische Glieder- und Bewegungs-
studien herrschten vor. Die Eroberung des menschlichen Körpers,
der menschlichen Figur gab das eigentliche Thema ab. Diese
Eroberung aber ist nicht einfach optisch und schon gar nicht
analytisch und um der durch die Analyse angetragencn Reize
willen gedacht und aufgefaßt. Es geht ihr vielmehr um etwas
Ganzes und Heiles, eben um die Figur, als welche sogar ein Bein
mit Unterschenkel, Knie und Oberschenkel ein Ganzes, ein sozu-
sagen geschlossenes Gebilde ist, das seine eigenen Maße in sich
trägt. Es von diesen her als Zeichnung oder eben als plastische
Figur aufzubauen und den Aufbau bis ins Kleinste zu kontrol-
lieren, um so geradewegs zu einer objektiven Form zu finden
und sie darzustellen, ist das Hauptanliegen dieses Bildners.
Avramidis fragt nicht darnach, ob das, was er schafft, auch
wirklich Kunst ist. Ihm geht es vielmehr um ein Herausarhciten
der wahren Form und er weiß genau, daß, wenn diese über die
konstruktive Richtigkeit hinaus zur lebendigen Gestalt erblüht,
Kunst entsteht, die, gleichsam als eine Gnade, hinzugeschenkt
wird. wohlgemerkt: zur Mühe und zur Arbeit und zu dem, was
sie erreichen können, hinzugeschenkt, denn ohne solche kon-
zentrierte Anstrengung gibt es für die ernst zu nehmenden jun-
gen Menschen von heute, zu denen Avramidis zählt, überhaupt
nichts mehr. Mit dem Fliegen und Schwimmen und sonstigen
genialischen Allüren ist es in der Kunst, zumindest fiir den
Augenblick, vorbei. Die Muse, wenn es schon nicht anders geht,
küßt nur noch den, der von sich aus sein Äußerstes gegeben und
geleistet hat. Alles andere ist Eitelkeit und Irrtum.
Johannes Avramidis nun geht bei seiner Arbeit, wie gesagt,
bedächtig vor. Er packt zu und geht nur an die Grenze de
heran, was er schon vermag. jede Figur wird ihrer Ges
qualität nach „ausgemessen" und dann meist samt den „h
mitteln", den Quer- und Längsschnittkurven oder auch den
ordinaten des Maßgerüstes, aufgebaut. Das Wort Figur hat
Avramidis also in der Tat nicht einen bloß zufälligen (lharal
Er meint vielmehr eine in ihren bildnerischen Proportionen
gewogene und zugleich der natürlichen Bestimmung des jett
gen Motivs gemäß übersetzte Form, in der sich die Gestal
das Bild der Idee manifestieren soll. Eine solche Form gel
ihm gewiß nicht immer, aber sie wird immer angestrebt.
Sogar eine Figur wie die weibliche in Bronze, die Ring auf l
gesetzt hat oder wie aus einem spiralenförmig übereinander
rollten Tau gebaut wirkt, will so verstanden werden, wen:
auch mehr ein Prinzip zu belegen als eine Figur zu bi
scheint. Hier nämlich wird sozusagen das sich wie aus Mm
ringen Hinaufsehrauben eines Körpers, eines in die Vcrti
strebenden Gebildes dargetan, das sich zugleich seine hori
tale Ausdehnung, sein von Fruchtbarkeitskräftcn erfülltes
getriehenes Volumen schafft.
Diese Figur fällt aus dem Rahmen dessen, was Avramidis s
gezeigt hat, fast heraus. Sein hildncrischcs Tun nämlich is
allgemeinen von einer großen Stille und ohne expressive Ex
tion, allerdings auch ohne die kalte Mache bloß ästhetis
„OrganisationenW Ob sich bei ihm uraltes griechisches Er
oder nur eine klare Selbstdisziplin geltend macht, bleibe d:
gestellt. Es kann jedoch kein Zweifel sein, daß bei der liirmei
Betriebsamkeit von heute, die am liebsten alles in Theater
Geschwätz, in irgendeinen Unterhallungskomfort verwan
möchte, das wahrhaft Wesentliche nur noch sehr leise une
messen vor sich geht. Die „Substanz" jedenfalls, statt in der
machung erstickt, zum Feuerwerk verflüchtigt, als Sens.
verraten oder gar durch Explosion verschleudert und vcrbr
zu werden, will mehr denn je sich sammeln, verdichten un
ihrer Form gedeihen können. jung im schöpferischen Sinn
Wortes ist daher tatsächlich nur noch, wer sich in den Rhytf
solchen Formgedeihens fügt und ihn realisieren hilft, wozu
hannes Avramidis unstreitig das Seirre beiträgt.
GIBT ES EINE ÖSTERREICHISCHE
MALEREI?
ZU ZWEI PUBLIKATIONEN ÜBER DIE NEUE KUNST IN ÖSTERREICH
Von WIELAND SCHM
ln letzter Zeit sind zwei Publikationen erschienen, die hochbe-
deutsam sind für die moderne Kunst in Österreich und ihre
Geltung im Ausland. Die eine zeigt uns die neue Kunst in der
Sicht eines heimischen Kunstwissensehafters, die andere aus dem
Blick eines der bekanntesten Museumsleiter des Auslandes,
W. Sandberg in Amsterdam.
Beide Publikationen sind die ersten ihrer Art und leisten Pionier-
dienste. Und beide scheinen auf den ersten Blick, schon durch
ihren Titel, die Existenz einer spezifisch österreichischen Malerei
- zumindest in unserem Jahrhundert - leugnen zu wollen. Das
Buch von Gerhard Schmidt, der Assistent am Kunsthistorischen
Institut der Universität Wien ist, heißt: „Neue Malerei in Öster-
reich" (und nicht etwa: „Neue österreichische Nialerei"). Es ent-
hält 180 Seiten mit hundert Abbildungen und ist vor kurzem
im seht rührigen Verlag Brüder Rosenbaum in vornehmer Aus-
stattung erschienen. Die andere Publikation, der Katalog
ersten repräsentativen gesamtösterreichischen Auslandsau:
lung der Malerei unseres Jahrhunderts seit 1945, heißt „K
aus Österreich" und scheint so auch der Frage der Existenz 1
spezifisch österreichischen Malerei ablehnend gegcnüberzustt
Diese Kataloge des Amsterdamer Museums, die auf eine „S
Tradition zurückblicken können, sind jedesmal eine Kostbat
Dieser bringt neben einer kurzen Einführung von XVerner
mann 57 Abbildungen auf 54 Seiten, wobei er in der Anordi
und Gegenüberstellung der Bilder (besonders interessant
Konfrontation von Egon Schiele und Fritz Hundcrtwasser)
umfassenderen Buche Gerhard Schmidts überlegen ist; aller:
enthält der Katalog keine Farbtafeln.
Zwei Fragen werfen diese Publikationen auf. Die eine: gil
eine autonome österreichische Malerei? Die andere: welche
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