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Volltext: Alte und Moderne Kunst II (1957 / Heft 3)

EIN KRUZIFIXUS VON TILMAN RIEMENSCHNEIDER 
Von ROBERT EIGENBERGER 
Abb. l. Kruzitixus von Tilnun Ricmmsehneidex- in der Pfarrr 
kirche St. Anton in XVien. dem Konvent der Vinzcntinerinncn 
zugehörig. Die durch Kriegscinwlrkung entstandenen Bau- 
schätlcu der Kirche luachtcxx eine Renovierung notwendig. Bei 
dieser (lelegcxwheil wurde das, wohl gegen Ende des vorigen 
Jahrhunderts im Stil neogutischcx" Fassungen mit dicken Lagen 
einer Ncrxgruxuliertmg und ("iltnrbenuuftriigen verschandeln: 
Kreuz der Akademie der bildenden Künste zur fachmännischen 
Beurteilung übergehen. Die Erwartungen der Restauratoren 
wurden voll bestätigt. 
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In der Pfarrkirche von St. Anton in Wien (XV. Bezirk, Pouthon- 
gasse), die dem Konvent der „Barmherzigen Schwestern des 
hl. Vinzenz von Paul" zugehört und im Jahre 1893 von dem 
Wiener Architekten Ludwig Zatzka im neoromanischen Stil er- 
richtet worden ist, befand sich bis zum Jahre 1904 an der rechts- 
seitigen Querschiffwand ein nur wenig unterlebensgroßer, holz- 
geschnitzter Kruzifixus, der später nach einer Erweiterung von 
Querschiff und Presbyterium an der Wand des linken Seiten- 
schiffes seine Aufstellung gefunden hatte. Hier in dem Dämmer- 
licht dieser Wandfläche genoß das Bildwerk beim Scheine von 
Wandlaternen und gespendeten Kerzen die Verehrung der an- 
dächtigen Gläubigen. Eine Beachtung als Kunstwerk aber hat 
es in dieser Zeit niemals gefunden. 
Der letzte Weltkrieg brachte auch der Pfarrkirche von St. Anton 
eine Reihe schwerer Baugebrechen. Umgeben von Gefahren der 
Vernichtung, ist damals das Bild des Gekreuzigten doch völlig 
unbeschädigt geblieben. Die von Bombeneinwirkungen verur- 
sachten baulichen Schäden aber verlangten eine gründliche Wie- 
derinstandsetzung und Renovierung der Kirche, die von 1949 an 
durchgeführt werden konnte. Schon in der Zeit der ersten Siche- 
rungsarbeiten an dieser Pfarrkirche war der Kruzifixus für den 
an der Pfarre tätigen Missionspriester Pater Ernst Boyer ein 
Gegenstand der Beschäftigung geworden. Seine dabei zum ersten- 
mal unternommenen Nachforschungen über die Umstände, unter 
denen das Bildwerk in den Besitz der Kirche gekommen war. 
blieben ohne Ergebnis. Den gleichen Mißerfolg aber hatten auch 
alle späteren Bemühungen, irgendwelche Hinweise über die Her- 
kunft des Werkes aufzufinden. Irgendwann - vielleicht anläß- 
lieh der Fertigstellung des neoromanischen Kirchenbaues im 
letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts - und von irgendwem 
wurde der Kruzifixus dem Schwesternkonvent geschenkt. Das ist 
alles, was mündliche Überlieferung von der Provenienz des Kru- 
zifixus auszusagen weiß. 
Volle Dunkelheit muß aber auch ehedem über der Frage nach 
der künstlerischen Herkunft des Werkes gelegen sein. Denn 
andernfalls wäre es schwer verständlich, wenn sich von einem 
Wissen des Stifters um die wahre Wesenheit und Bedeutung des 
Schenkungsobjektes nicht einmal eine mündliche Überlieferung 
erhalten hätte. Und noch unwahrscheinlicher müßte es erschei- 
nen, wenn bei einer Kenntnis vom Werte der Schenkung keine 
schriftlichen Vermerke gemacht worden wären. Dem Vorschlag 
Pater Boyers und dem Wunsche des Leiters der Pfarrkanzlei, 
Pater Alois Mawal, ist es zu danken, daß der Kruzifixus in die 
Akademie der bildenden Künste zu einer fachmännischen Be- 
urteilung und Untersuchung gebracht werden konnte. Pater 
Boyer gebührt dabei das Verdienst, die spätgotische Stilform des 
Werkes erkannt zu haben. Von ihm aber wurde auch schon bei 
der Einbringung desselben in das Akademie-Institut für Konser- 
vierung und Technologie zum erstenmal die Vermutung ge- 
äußert, daß es sich hier vielleicht sogar um ein Werk Tilman 
Riemenschneiders handeln könnte. 
Diese Erwartung Pater Boyers, der auch sonst über sehr beacht- 
liche kunsthistorische Kenntnisse verfügt, sollte in vollem Um- 
fang ihre Bestätigung finden. Pater Boyers Ahnungen von der 
wahren Wesenheit dieses Schnitzwerkes hatten sich von allem 
Anfang an nur auf einen Zustand der Plastik stützen können, 
der den Charakter von weitgehenden und arg entstellenden Über- 
arbeitungen an sich getragen hat. Der Kruzifixus war, nach der 
Form der Überarbeitungen zu schließen, wohl am Ende des vori- 
gen Jahrhunderts im Stile neogotiseher Fassungen mit dicken 
Lagen einer Neugrundierung und darüberliegenden Ölfarben-
	        
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