Abb. 3. „Bedr0hw1g". Federzeich-
nung von Alfred Kubin aus dem
jahr 1950.
iunkt des Zeillosen aus; sie bewirken beim Betrachter eine
eichte Hypnose: er sieht die Bedrohung, den Verfall, die Ge-
penster - aber er weiß zugleich, duß sie alle nur zeitliche Er-
cheinungen sind und mit der Zeit verschwinden. Man erinnere
ich an Kubins Roman „Die andere Seite", diesen Roman, zu
lem jedes einzelne spätere Blatt als Illustration gelten kann:
iichts anderes wird hier beschrieben als der Verfall, die Ver-
vesung, das langsame Bröekeln einer Stadt namens Perle. In
lieser Stadt leben viele, zumeist recht sonderbare Leute - auch
hre Wohnungen, ihre Kleider, ja selbst ihre Gebräuche und
litten zerfallen, lösen sich auf, werden zu Staub. Und doch, kei-
ter ist unglücklich oder auch nur betrübt. Im Gegenteil, man
st zufrieden und sogar heiter. Und das ist denn auch der Be-
rachter Kubinischer Zeichnungen.
is ist also recht schwierig, die Erscheinung Kubins mit zeitlichen
vlaßeit zu messen. Viel leichter ist es, den Raum zu bestimmen,
lem sie entstammt.
Es war ein Preuße, nämlich Ernst jünger, der als erster in
seinem unübertrefllichen Aufsatz „Die Staub-Dämonen" auf Ku-
bins Verwurzelung im Milieu der sterbenden österreichischen
Monarchie hingewiesen hat, eine Feststellung, die man heute
ohne weiteres als zutreffend akzeptiert.
Man hat aber bis jetzt noch kaum begriffen, daß man durch
eine solche räumliche Einordnung nicht nur das kunstgeschicht-
liche Phänomen Kubin aus seiner scheinbaren Isolation lösen
könnte. jüngst ist mit viel Beifall und unter heiterer Aufmerk-
samkeit im Wiener Akademietheater des jüngst verstorbenen
Fritz von Herzmanovsky-Orlandos „Kaiser joseph und die Bahn-
wärterstochter" gespielt worden - das absurd-komische Thea-
terstück eines bis dahin nur Kennern halbwegs Vertrauten.
Herzmanovsky holt seine Stolle ausschließlich aus dem Milieu
einer längst vergangenen, sozusagen nur mehr imaginären k. u. k.
Monarchie; auch er springt, wie schon Titel und Inhalt jenes
Stückes beweisen, großzügig mit Zeitbegrilfen um: er wird über
kurz oder lang für die Literaturhistorie das bedeuten, was Kuhin
für die Kunstgeschichte bedeutet.