„Erinnert Euch dieser Stunde"
Die Häuser, die Beethoven in Wien bewohnte, spiegeln den Geist zu'eier'
Epochen und fügen sich zu einem abwechslungsreichen Nebeneinander zwi-
schen dem Hochbarock, dem vornehmen, für die Regierungszeit der großen
Kaiserin typischen Stil einerseits und dem bürgerlichen Logis des Biederw
meiers andererseits. Auch der in unserer nivellierenden Gegenwart immer
mehr schwindende Gegensatz zwirchen Innenstadt und Vorstadt läßt sich
aus den abgebildeten Häuserfronten unschwer erkennen. Ausgesprochenen
Charakter ländlicher Uillegiatur tragen die Häuser Probusgasse 6 (Abb. 6),
das Gebäude Pfarrplatz 2 (Abb. 1), welches im 17. ]ahrhundert erbaut und
von Beethoven im ]ahre 1817 bewohnt wurde. Weiter: dar Ilaus Döhlinger
Hauptstraße 26 (Abb. 10), in welchem Fragmente der „Ernica" entstanden.
Analoges läßt sich von der Grinzingerstraße 64 (Abb. 5), der Wiege der
Pastoralsymphunie behaupten und dem mit einer schönen Rohokofassade ge-
schmückten Häuschen Kahlenbergerstraße 26 (Abb. 4). Ein Stadthaus in der
vollen Bedeutung des Wortes ist das Pasqualatihaus, [Völkerbastei 8 (Abb. 7).
In den ]ahren 1804 bis 1815 nahm dort Beethoven wiederholt längeren Au]-
enthalt. In der Trautsongasse f! (Abb. 3) entstand in den ]ahren 1819 und
1820 das Credo der Missa solemnis, Beethovens Sterbehaus (Abb. '2),
Schwarzspanierstraße 15, heute in einer Nebengasse Wührings, lag damals
außerhalb der Stadtwalle an einem freien Platz, vor welchem sich die unab-
sehbare Zahl der Leidtraaenden versammelte, die dem toten Meister die
letzte Ehre erwiesen.
Abb. 1. Plarrplatz 2 in Heiligcnslndt. Ein
Weinhaucrhaus mit ländlichem Charakter, heute
ein populäres Heurigcnlokal. Hier wohnte Beet-
hoven 1817.
Abb. 2.
Schw; LSPilni?fSll'ElßC 15, dcr
chc-m. gc SChTVIIFZSP2IHiCFh(JÄÄ_
wo Beethovcn 1827 auuh.
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„Erinnert Euch dieser Stunde und denkt: Wir waren dabei, als
sie ihn begruben und als er starb, haben wir geweint." Mit diesen
Worten schloß Grillpnrzer seine berühmte Rede am Grab Beet-
hovens, an jenem Tag des Jahres 1827. -- Als er aber noch
unter den Lebenden weilte, waren Teilnahmslosigkeit und Gleich-
gültigkeit der Umwelt nicht imstande, dem Ruhelosen, nach
Ruhe sich Sehnenden, Sicherheit und Sorglosigkeit eines stabilen
Wohnsitzes zu ermöglichen. Die Martyrien, welche Beethoven
aus den Nöten des ewigen Wohnungsweehsels erwuchsen, sind
ein trauriges Beispiel für den Kampf eines Genies gegen die Wi-
derwärtigkeiten des Alltages.
Beethovens Gehörleiden mag dazu beigetragen haben, daß Woh-
nungswechsel und Wohnungssuche zu Katastrophen wurden. Wlie
oft wurde er mißverstanden. „Oh Ihr Menschen, die Ihr mich
für feindselig, störriseh oder misanthropiseh haltet und erklärt,
wie unrecht tut Ihr mir! Ihr wißt nicht die geheime Ursache von
dem was Euch so scheinet".
„Mit Freuden will ich dem Tod entgegen sehen, kommt er früher
als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunstfähig-
keiten zu entfalten, so wird er mir trotz meines harten Schick-
sals doch noch zu früh kommen und ich würde ihn später wün-
schen." (Beethovens Heiligenstädter Testament, 6. Oktober 1802).
In einem Brief an Nanetxe Streicher vom 7. juli 1817 klagt
Beethoven:
„Da sehen Sie wiedereinmal die Bedientenhaushaltungenl Als ich
gestern nach Hause eilte, fand ich meinen Diener nicht zuhztus.
Er hatte den Schlüssel zur Wohnung sogar mitgenommen, es
war sehr kühl. Ich mußte mich drei Stunden lang herumtreiben.
Dies sehadele mir. . ."
Von seinen Stadtwohnungen pflegte Beethoven jene auf der Bastei
und auf dem Glacis zu bevorzugen, da sie freie, schöne und weite
Aussicht auf die von ihm so geliebte Wiener Landschaft gewährte.
Am wohlsten aber fühlte er sich außerhalb der Stadtmauer, in
Döbling, Grinzing, Müdling, Baden. Hier entstanden große Teile
Abb. 3.
Traulsongasse 2. Ein kl.
zislisches Empirehaus
1800. Hier arbeitete Bee
ven im Winter 1819120
Credo seiner Missa solen