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seiner anderen überragt hätte (Demetrius), Schiller. Jäh unter
bricht dieser vorzeitige Hintritt den nur wenige Jahre früher ge
schlossenen bedeutungsvollen Bund der beiden Heroen Weimars,
der sie beide nach langer Enthaltung der dichterischen Production
wiedergegeben hatte. Nur schwer vermögen wir uns in die geistige
Bewegung einer Zeit zu versetzen, in welcher zum ersten Male
in die Erscheinung tritt, was heute zu den Elementen unserer
Bildung, unseres geistigen Besitzes gehört, verklärt von dem
Schimmer der Altehrwürdigkeit und zu einer historischen Macht
geworden, an welcher keine Kritik zu rütteln im Stande ist. Be
denken wir folgende Erscheinungsreihe: „Maria Stuart“ (am 14. Juni
1800 in Weimar zum ersten Male aufgeführt); „Die Jungfrau von
Orleans“ (1801); „Die Braut von Messina“ (am 19. März 1803 in
Weimar zum ersten Male aufgeführt); im selben Jahre: Heinrich
von Kleist’s „Familie Schroffenstein“, Tieck’s Minnelieder, Hebel’s
alemannische Gedichte; dann 1804: „Wilhelm Teil“ (am 17. März
in Weimar zum ersten Male aufgeführt), Jean Paul’s „Flegeljahre“;
1805: Goethe’s „Winckelmann und sein Jahrhundert“, Herder’s
„Cid“, „Des Knaben Wunderhorn“ von Arnim und Brentano ;
1808: „Faust“, erster Theil, Fri Schlegel’s „Sprache und Weisheit
der Inder“, Humboldt’s „Ansichten der Natur“; 1809: „Die Wahl
verwandtschaften“; 1811: „Dichtung und Wahrheit“, erster Band;
Niebuhr’s „Römische Geschichte“; 1812: Grimm’s „Kinder- und
Hausmärchen“; 1816: „Die italienische Reise“ u. s. w. Ueberjede
Phase unserer Epoche schwebt Goethe’s Geist, und das macht sie
uns besonders werthvoli. Schon unseren Grosseltern, da er noch
lebte und wirkte, war er eine mythische Figur wie uns. Aber wir
besitzen ihn als ein überliefertes Gut, der ganze Reichthum seines
Geistes liegt vor uns; jenen beschied jedes Jahr neue Gaben von
ihm, die immer neue Seiten seines Wesens enthüllten. Sie ge
wannen stückweise, was wir als Ganzes besitzen, ihnen war Offen
barung, was uns Dogma ist.
Aber auch Wien und Oesterreich nehmen regen Antheil nicht
nur, wie wir sahen, an der bildenden Kunst, auch an der Literatur,
an der Entwicklung des Theaters; in der Musik hat Wien die
Führung. Gollin, Grillparzer, Raimund sichern Oesterreich einen
Ehrenplatz in dei Literatur; das Burgtheater unter Schreyvogel
eihebt sich zur ersten deutschen Bühne; Beethoven, um 1800 auf
die Höhe seines Könnens gelangend, schafft in unserer Epoche
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