Abb. 1.
wand, 110 X 67,5 cm.
Otto Müller: Badende Mädchen. Ol auf Lein-
(Neue Gelen: Wolfgang Gurlm. Linz).
In der Tat haben die Künstler Österreichs der Kokoschka-Gene-
ration (Faistauer, Wiegele, Kolig, Thöny, Gerstl), die erstmals
in der Wiener „Kunstschau" von 1908 und dann in den Aus-
Stellungen der „Neukunstgruppe" von 1909 und 1911 auftraten.
wesentlich weniger Wert auf das gelegt, was wir heute als „Publi-
eity" bezeichnen möchten. Während etwa die Künstler der
„Brücke" in demonstrativster Weise sich von aller direkten Tra-
dition lossagten und ihrer Kunst einen unverkennbar aggres-
siven Charakter gaben, während die Künstler des „Blauen Reiter"
sich interessanten metaphysischen Spekulationen hingaben und
sich als Botschafter einer neuen Zeit, einer überragenden Zu-
kunft fühlten, wollten die österreichischen Zeitgenossen ledig-
lich die Welt und die Dinge so malen, wie es ihnen ein Bedürfnis
war; eine Eingabe an die Akademie vom jahre 1909, die Faist-
auer und Genossen einreichten, beweist deutlich, daß es unseren
jungen Künstlern von damals nur um die Fragen künstlerisch-
individueller Schaffenskraft ging. Das Theoretisieren war
ihnen ebenso fremd wie die Aggression und fast alle von ihnen
verzichteten auf die Schützenhilfe aus Literatur und Presse. Nur
Kokoschka, der sich seinen wachen Sinn für Aktualität und das
Gebot der Stunde bis zum heutigen Tag bewahrt hat, wußte,
was los war und ließ sich von Hcrwarth Walden nach Berlin
zum „Sturm", jener aktivsten und heftigsten aller kulturpoliti-
schen Zeitschriften holen. Vielleicht ist es im wesentlichen Maß
gerade diese Tatsache, der Kokoschka seine feste, ja geradezu
schon schematische Eingliederung in den deutschen Expressionis-
muc vvrrlnnkt,
stcllung" begnügte. Der reich bebilderte, sorgfältig gestaltete
Katalog ist durch keine Zeile eingeleitet - keine Spur, nicht die
leiseste Andeutung von jenen Manifesten, die damals die Kunst-
welt in Frankreich und Deutschland erschütterten! Und wie spe-
zifisch östcrreichisch ist das Verhalten Kubins, der sich aus dem
Trubel der Münchner Jahre auf sein stilles Sehlößchen Zwick-
ledt zurüekzog, um dort ein Leben lang in aller Zurückgezagen-
hcit zu verweilen. Aber wäre er heute der „große" Kubin, wenn
er nicht - wenn auch nur für wenige jahre - den Münchner
Hexensabbath mitgemacht hiitte? Und ist es nicht ebenso be-
zcichncnd, daß Kubin in Vollmers Künstlerlexikon des 20. Jahr-
hunderts als „sudetendcutscber" Künstler angegeben ist, obwohl
er seine früheste Kindheit in Salzburg verbrachte und Österreichs
Grenzen (im engsten Sinn) nur zu gelegentlichen Studienreisen
und Aufenthalten verließ? Andererseits braucht man sich nur
vorzustellen, was etwa ein Schiele aus seinen erotomanischen
Komplexen gemacht hätte, wäre er in Deutschland einem Mana-
ger vom Stile eines Walden oder Cassirer in die Quere ge-
kommen!
Damit sind wir bei etwas sehr Wcscntlichem angelangt, nämlich
beim Gesamtcharakter der österreichischen Kunst der expressio-
nistischen Periode; sie ist an sich nicht auf große Ziele gerichtet,
sie will weder zerschlagen, noch „Altäre der Zukunft" (Marc)
bauen -, sie bleibt beim Menschen und seinem Drama. Dieses
Drama - das ewige Ringen zwischen Trieb und Geist, das
Eingespztnntsein zwischen Geburt und Tod in all seiner Unerbitt-
lichkeit, das Alleinsein des Menschen inmitten des Weltentrubels
- das ist das Hauptthema des österreichischen Expressionismus.
In der Tat haben die Künstler Österreichs der Kokoschka-Gene-
ration (Faistauer, Wiegele, Kolig, Thöny, Gerstl), die erstmals
in der Wiener „Kunstschau" von 1908 und dann in den Aus-
stellungen der „Neukunstgruppe" von 1909 und 1911 auftraten.
wesentlich weniger Wert auf das gelegt, was wir heute als „Publi-
city" bezeichnen möchten. Während etwa die Künstler der
„Brücke" in dcmonstrativster Weise sich von aller direkten Tra-
dition lossagten und ihrer Kunst einen unverkennbar aggres-
siven Charakter gaben, während die Künstler des „Blauen Reiter"
sich interessanten metaphysischen Spekulationen hingaben und
sich als Botschafter einer neuen Zeit, einer überragenden Zu-
kunft fühlten. wollten die österreichischen Zeitgenossen ledig-
lich die Welt und die Dinge so malen, wie es ihnen ein Bedürfnis
war; eine Eingabe an die Akademie vom Jahre 1909, die Faist-
auer und Genossen einreichten, beweist deutlich, daß es unseren
jungen Künstlern von damals nur um die Fragen künstlerisch-
individueller Schaffenskraft ging. Das Theoretisieren war
ihnen ebenso fremd wie die Aggression und fast alle von ihnen
verzichteten auf die Schützenhilfe aus Literatur und Presse. Nur
Kokoschka, der sich seinen wachen Sinn für Aktualität und das
Gebot der Stunde bis zum heutigen Tag bewahrt hat, wußte,
was los war und ließ sich von Herwarth Walden nach Berlin
zum „Sturm", jener aktivsten und heftigsten aller kulturpoliti-
schen Zeitschriften holen. Vielleicht ist es im wesentlichen Maß
gerade diese Tatsache, der Kokoschkzt seine feste, ja geradezu
schon schematische Eingliederung in den deutschen Expressionis-
mus verdankt.
Wic bescheiden die Österreicher jener Tage waren, geht daraus
hervor, dnß die wichtige Ausstellung der „Neukunstgruppe" im
Hagenbund 1911 sich mit der bloßen Bezeichnung „Sonderaus-
Abb. 2. Clara Sievert: Das Märchen. O1 auf Leinwand,
102,5 X 74,5 Cm. (Neue 6mm WolÖglng 0mm, Lm).
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