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Volltext: Alte und Moderne Kunst II (1957 / Heft 6)

die im Iinterbewußten und in der Schicht PSyChO-pltyäläßllßl" 
Reaktionen verankert sind. jedermann kann an sich selbst nach- 
prüfen, dafl er runde Formen mit dem Begriffsbereielt des Weib- 
lich-Mütterliehen, des Bergenden und Irdischen, winkelige und 
spitze Formen aber mit dem des Männlichen, Rationalen und 
Herausforderndcn assoziiert. Ebenso herrscht ein gewisser Kon- 
sensus über die Bedeutung von Links und Rechts, Oben und 
lnten oder über warme und kühle Farbwirkungen. Die Bereit- 
schaft, elementare Qualitäten dieser Art als Bestandteile des 
ästhetischen Erlebens zu akzeptieren, hat sich im Laufe der 
letzten eineinhalb jahrhunderte im Abendland kontinuierlich ent- 
wickelt. Sie ist die wesentlichste Voraussetzung für das Ent- 
stehen nicht nur der modernen Kunst, sondern auch jenes 
„imaginären Museums" gewesen, aus dessen gewaltigen Depots 
wir alle heute schöpfen. Die künstlerischen Produkte fernstei" 
Kulturkreise - des alten Sumcr, des praekolumbiztitischen 
Amerika, Ostasiens und des archaischen Hellas - werden um 
jener lilementarqualitätcn willen als Kunstwerk: gewürdigt, 
auch wenn wir von ihrem konkreten historischen, kultischen 
und geistigen Hintergrund keine oder eine nur sehr blasse 
Vorstellung besitzen. 
Während die Gruppen und Richtungen in der heroischen Phase 
der modernen Kunst jeweils nur einzelne dieser Elementarqua- 
litäten erprobten und einer methodischen Bewältigung zugänglich 
machten, schöpfen die Künstler der jahrhundcrtmitte diesbe- 
züglich schon aus einem großen Reservoir. Hier werden Syn- 
thesen möglich, zugleich aber auch sehr individuelle Varianten. 
Und sowohl in der einen wie in der anderen Hinsicht scheinen 
uns die Wlandbildcm Herbert Tasquils bemerkenswert. 
Ihr synthetisches Wesen wird dem Betrachter offenbar, sobald 
er die Ambivalenz der einzelnen Formmotive erkennt, die ja 
nicht nur Bestandteile einer „abstrakten" Komposition, sondern 
zugleich auch „BedeutungsträgeW sind. (Ich vermeide mit Ab- 
sicht den übliehercn Terminus „Gegenstandssymbolef weil er 
nicht das Wesentliche trifft. Es geht hier nicht darum, benenn- 
bare Objekte in die Bilder einzuführen, sondern um eine Sinn- 
gebung des formalen Geschehens. Daß bedeutungshaltige For- 
men gelegentlich auch Erinnerungen aus unserer Gegenstands- 
erfahrung wachrufcn, bleibt demgegenüber sekundär.) Die vor 
etwa vierzig jahren noch gesonderten Bemühungen um die reine 
Form auf der einen, um die reine Aussage auf der anderen Seite 
sind hier verbunden. Der jüngeren Generation, der Tasquil (ge- 
boren 1923) angehört, entspricht es, eine solche Verbindung 
nicht mehr in kleinteiligen Formgcflechten, sondern im groß- 
zügigen Gegeneinander prägnanter Kontraste zu suchen. Da- 
durch gewinnen die Einzelelemente - unabhängig von ihrer ab- 
soluten Größe - eine monumentale Qualität, wie sie bis vor 
kurzem in der modernen Malerei nicht üblich war. (Monumen- 
talität war fallweise im Rahmen einer noch weitgehend gegen- 
ständlichen Kunst -- bei Leger, Schlemmer und manchmal bei 
Picasso - anzutreffen. Im ungegenständlichen Bereich aber tritt 
sie uns, wenn wir von den im Grunde dimcnsions-indifferenten 
Schöpfungen des Konstruktivismus absehen, erst seit etwa 1940 
bei Magnelli, später bei Dewasnc und bei anderen jüngeren Ita- 
lienern und Franzosen entgegen.) 
Insofern also könnten sich Tasquils Bilder einer zukunftswei- 
senden europäischen Stilentwicklung der Gegenwart einordnen. 
Ihre persönliche Note resultiert aus der spezifischen 'l'ünung 
ihres Sinngehaltes und aus der sehr suggestiven Wirkung, die 
hier erreicht wird, ohne die lapidare Gestaltqualität der Formen 
durch expressive Details zu gefährden. Ein in unseren Breiten 
nicht gerade häufiges, eher mittelmeerisch anmutendes Wissen 
um die Form spricht sieh hier aus: sie wird nicht als notwendi- 
ges Medium der Kunst nur eben hingenommen, sondern tritt mit 
dem pathcti. hen Anspruch auf, Gleichnis materieller und geisti- 
ger Grundkräfte zu sein. 
Und eben dadurch wird sie zum Becleutungsträger. Man könnte 
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3. Stock 
 
2. Stock 
 
 
Erdgesehoß 
In vierfacher Abwandlung behandeln Herbert Tiasquils Wandbiltlct" ein 
formales - und existenzielles - Grundthema: die S innung zu hcn 
polaren Gebilden, die von einem ve mittelnden Zentralmotiv in Schutt-ht- 
gehalten wird. Wie im Großen, erfüllt sie auch im Detail und in der 
flitrhigkeit eine Fülle subtiler Kontras '. Kurven und G ade, differen- 
zierte und großz gig umrissene Flachen antworten einander ebenso 
wie einzelne komplementäre Farbenpaare. Die Einheitlichkeit der Far- 
benskala wird durch vorsichtiges Brechen der allzu lauten Töne mit 
Schwarz erreicht. Nie entsteht so jener schrille und lll'llli 'elle liffrkt, 
der unserem neonbeleuchteten, von Wcrbe- und Warnungsxicheim cr- 
fülltcn Lebensraum schon allenthalben eignet. 
 
  
 

	        
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